Die „Süddeutsche Zeitung“ erschien in diesen Tagen mit folgender Überschrift auf der Titelseite: „Breite Bürgerbewegung gegen rechts“. Da schwang bei dieser Zeitung, die sich eher als links versteht, ein gewisser Hoffnungsschimmer mit. So hätten sie es wohl gern. Tatsächlich sind die Zahlen derer beeindruckend, die nach den Enthüllungen des Rechercheteams „Correctiv“ bundesweit an Demonstrationen „gegen rechts“ teilgenommen haben. Auch in Niedersachsen war das so. Aber ist dieser Weg überhaupt zielführend? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Fotos: Tero Vesalainen via Getty Images und SCHEFFEN

CONTRA: Wenn die „Enthüllungen“ selbst fragwürdig und lückenhaft sind, können sie keine tragfähige Basis für einen massiven Protest dagegen sein. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Demonstranten vielmehr ihrer Angst Ausdruck verleihen als einem Erschrecken über neue Tatsachen. Das aber stärkt eher die Extremisten, befürchtet Klaus Wallbaum.

Vorab muss dem Rechercheteam „Correctiv“ Anerkennung gezollt werden. Es ist ihnen gelungen, in eine interessante Veranstaltung einzudringen und die Sichtweise rechtsradikaler Vordenker explizit darzustellen. Wenn von „Remigration“ die Rede ist, einem unverständlichen und verschleiernden Begriff, dann ist in der Sicht des rechtsextremen Funktionärs Martin Sellner eben nicht nur die Rückführung abgelehnter Asylbewerber gemeint – also das, was derzeit sogar von Rot-Grün akzeptiert wird. Er will auch Menschen mit ausländischen Wurzeln, die hier integriert sind, umsiedeln. Dazu hat er offenbar einen „Masterplan“ entwickelt. Das ist in der gedanklichen Konsequenz erschreckend und dürfte so manchen, der sich bisher nicht näher damit befasst hat, erschüttern. Vielleicht ist die Veröffentlichung dieser Gedanken tatsächlich geeignet, den einen oder anderen Protestwähler von der AfD abzubringen. Denn Deportationen von Menschen mit Migrationshintergrund, das wollen auch viele von denen nicht, die der aktuellen Flüchtlingspolitik überdrüssig sind und aus diesem Grund bisher AfD angekreuzt haben.

„Es muss in der Demokratie auch Menschen geben, die rechts sind, ohne dass sie gleich als Nazis oder rechtsradikal beschimpft werden.“

So weit, so gut. Nun nehmen aber zahlreiche Gruppen den Correctiv-Bericht zum Anlass für größere Demonstrationen – oder, wie es die „Süddeutsche“ nennt: „eine breite Bürgerbewegung gegen rechts“. Das ist ein höchst riskanter Schritt, denn für die Glaubwürdigkeit derartiger Proteste müsste es eine ehrliche Welle der Betroffenheit über die enthüllten Botschaften geben, und die wäre nur verständlich, wenn die Correctiv-Berichte tatsächlich erschreckende Neuigkeiten enthielten. Die Tatsachen indes lauten so: Dass Martin Sellner so denkt, wie er zitiert wurde, ist bekannt. Die Leitfigur der „Identitären“ steht außerhalb unserer Grundordnung, und das schon seit Jahren. Dass einzelne Mitglieder und Funktionäre der AfD mit Sellner und seinesgleichen Kontakt suchen, ja sogar ein paar CDU-Mitglieder von der rechtsorientierten „Werte-Union“, ist auch keine Neuigkeit. Es ist ja gerade die große Schwäche der AfD, dass sie sich nach Rechtsaußen nicht abzugrenzen vermag, sondern dort nach wie vor Bündnispartner sucht. Aber Sellners Thesen und die von anderen obskuren Rednern bei der von Correctiv ausgespähten Veranstaltung sind ja offenbar weder von allen Anwesenden begrüßt oder gar beschlossen worden, noch stehen sie in einem bisher noch nicht bekannten Programm der AfD. Wenn es so wäre, könnte man einen verfassungsfeindlichen Charakter der AfD begründen. Das jedoch ist immer noch nicht möglich, da weder Programmatik noch Politik der AfD so ausgerichtet sind, dass man daraus einen Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder gar eine aggressiv-kämpferische Haltung ableiten könnte. Die Rechtsextremisten in der AfD sind bisher geschickt genug, nur verwischte Spuren zu hinterlassen. Und ob diese Rechtsradikalen die AfD wirklich dominieren, wie gern behauptet wird, müsste auch noch bewiesen werden. Björn Höcke allein ist noch kein Beleg.

Das aber wird jetzt zum Problem der „Bürgerbewegung gegen rechts“: Viele Menschen, die da teilnehmen, sind in berechtigter Sorge um die Beständigkeit der demokratischen Ordnung. Gleichwohl wird man den Verdacht nicht los, dass einige der Teilnehmer mal wieder einen Anlass sehen, im Protest „gegen rechts“ ihr eigenes Links-Sein im Sinne eines Besser-Seins zu bekennen. Der Bundesregierung dürfte das als vorübergehende Ablenkung von ihrer eigenen Uneinigkeit in den meisten politischen Fragen willkommen sein. Wenn man aber alle in einen Topf wirft, Sellner und die AfD, die CDU und all jene, die keine Linken sein wollen, dann überzeugt man damit sicher kaum jemand von denen, die bisher aus Protest AfD gewählt haben und eigentlich für die etablierten Parteien zurückgewonnen werden könnten. Vermutlich verfängt bei denen eher eine andere Interpretation: Sie erkennen bei weiten Teilen der politischen Linken in Deutschland eine Weigerung, sich mit den Nachteilen der Zuwanderung und nötigen Schritten ihrer Begrenzung auseinanderzusetzen. Solche Debatten würde die Linke mit pauschalen Vorwürfen und Diffamierungen abwehren wollen. Wo ist nun der Mangel dieser „Bürgerbewegung gegen rechts“? Statt die Thesen Sellners, der AfD oder anderer rechtsextremer „Vordenker“ in Frage zu stellen und als gefährlichen Irrsinn zu entlarven, der sie sind, herrscht wieder nur ein plumpes Anti-AfD-Bashing. Dann kommen die „Omas gegen rechts“ um die Ecke und bekennen sich mal wieder dazu, wie schön es doch ist, links zu sein. Das ist ein Affront gegen alle, die gerade deshalb nicht links sein wollen, weil die Meinungsfreiheit und -vielfalt ein hohes Gut ist. Es muss in der Demokratie auch Menschen geben, die rechts sind, ohne dass sie gleich als Nazis oder rechtsradikal beschimpft werden.

Deshalb sind große Zweifel angesagt, ob die von der „Süddeutschen Zeitung“ beschriebene „breite Bürgerbewegung gegen rechts“ die AfD in diesem Jahr wirklich kleiner macht. Vielleicht macht sie sie damit sogar noch größer.