Die „Süddeutsche Zeitung“ erschien in diesen Tagen mit folgender Überschrift auf der Titelseite: „Breite Bürgerbewegung gegen rechts“. Da schwang bei dieser Zeitung, die sich eher als links versteht, ein gewisser Hoffnungsschimmer mit. So hätten sie es wohl gern. Tatsächlich sind die Zahlen derer beeindruckend, die nach den Enthüllungen des Rechercheteams „Correctiv“ bundesweit an Demonstrationen „gegen rechts“ teilgenommen haben. Auch in Niedersachsen war das so. Aber ist dieser Weg überhaupt zielführend? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Fotos: Tero Vesalainen via Getty Images und SCHEFFEN

PRO: Die Demonstranten wollen den Menschen, die sich angesichts rechtsradikaler Phantasien in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, zur Seite stehen. Das ist gut und richtig. Eine Bewegung für die parlamentarische Demokratie, für die gleichen Rechte aller Menschen und für soziale Standards passt in diese Zeit, meint Anne Beelte-Altwig.

Die Demonstration der „Omas gegen rechts“ am vergangenen Dienstag in Hannover-Linden führte fast an meiner Haustür vorbei. Ich war trotzdem nicht dabei. Zunächst einmal, weil wir beim Rundblick am späten Nachmittag noch bei der Arbeit sind. Aber ich war auch ganz froh, mich nicht für oder gegen die Demo entscheiden zu müssen. Denn das Anliegen, „AfD-Verbot sofort!“, halte ich weder für aussichtsreich noch für geeignet, mit einer Partei umzugehen, die in Sachsen und Thüringen von mehr als einem Drittel der Wahlberechtigten unterstützt wird. Am Sonnabend habe ich in Hannover ja noch einmal die Gelegenheit zu demonstrieren. Ein Bündnis mit rot-grünem Schwerpunkt hat aufgerufen, motiviert durch die „Empörung“ über das Treffen von AfD-Vertretern und Rechtsextremen in Potsdam. Ich verstehe dieses Gefühl angesichts der absurden Phantasien, Deutschland ethnisch zu säubern. Trotzdem finde ich das ein heikles Motiv für politisches Handeln. Empörung stellt sich auf eine höhere moralische Stufe als andere. Eine Gesellschaft, in der die einen empört sind und die anderen glauben, „die da oben“ hätten das Volk verraten, driftet immer weiter auseinander.

Solchen Bedenken zum Trotz möchte ich mich gerne öffentlich äußern. Ich möchte denen meine Unterstützung versichern, die sich in Deutschland nicht sicher oder nicht wirklich wohl fühlen. Die sich mit ihrem Aussehen, ihrem Glauben, ihrer Herkunft, ihrem Lebensstil, ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung in die Rolle von Außenseitern gedrängt fühlen, obwohl sie es nicht sein wollen. Und ich möchte lieber „für“ etwas sein als „dagegen“. Das reichlich abgegriffene Motto „bunt statt braun“ hat es damals auf den Punkt gebracht. Auf einer Website, die die „Omas gegen rechts“ unterstützt, finde ich die Liste ebenfalls ziemlich überzeugend: für die parlamentarische Demokratie, für Europa, für die gleichen Rechte aller in Deutschland lebenden Männer, Frauen und Kinder, für die sozialen Standards, die vorhergehende Generationen erkämpft haben.

„Demokratie passiert genau jetzt. Und ich möchte nicht den Moment verpassen, in dem sie Fürsprecherinnen und Fürsprecher braucht.“

Obwohl sie für so vieles sind, tragen die Omas dieses „gegen“ im Namen. Die Wendung „gegen rechts“ reicht zurück bis in die „Baseballschlägerjahre“, als rechte Jugendkulturen in den 1990er Jahren Angst und Schrecken verbreiteten. Ernst Albrecht hat als christdemokratischer Ministerpräsident Flüchtlinge aus Vietnam nach Niedersachsen geholt. Rechte Schläger haben später Jagd auf vietnamesisch-stämmige Menschen gemacht. Seit dieser Zeit meint „rechts“ nicht mehr „konservativ“, sondern „menschenfeindlich“. Vielleicht hätte man damals schon die Begrifflichkeit anders wählen sollen, um mehr Verbündete jenseits des rot-grünen Spektrums zu gewinnen. Nicht „gegen rechts“, sondern für eine Demokratie mit Herzblut.

Die „Omas gegen rechts“ gehören einer Generation an, die sich von ihren Nazi-Eltern emanzipiert hat und die mit manchen Utopien gescheitert ist. Dass sie sich im Alter als „Omas“ organisieren, ist mutig. Denn in unseren Köpfen sind andere Bilder von alten Frauen verankert: Das der selbstlosen Großmutter oder das der furienartigen alten Hexe. Omas, die sich zusammentun und öffentlich positionieren, sind neu. Mir macht das Mut, für die Demokratie ebenso wie für meine eigene Aussicht, als Frau in Würde alt zu werden. Ich denke, dass ich am Wochenende eine der vielen Demonstrationen in Niedersachsen besuchen werde – auch, wenn ich nicht jedes Anliegen der Veranstalter teile. Den Grund benennt die Veranstaltung in Wilhelmshaven ganz gut mit einem Zitat der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer: „So hat es damals auch angefangen.“ Das ist ein Gefühl und keine historisch akkurat belegte These. Aber Demokratie passiert genau jetzt. Und ich möchte nicht den Moment verpassen, in dem sie Fürsprecherinnen und Fürsprecher braucht.