In ganz Deutschland ziehen Landwirte mit ihren schweren Traktoren über die Straßen und demonstrieren. Das ist fast überall ein beeindruckendes Bild. Aber sind diese Demonstrationen überhaupt berechtigt – oder haben die Bauern selbst Schuld daran, dass die notwendigen Reformen in der Ernährungswirtschaft bisher nicht umgesetzt werden konnten? Die Rundblick-Redaktion streitet in einem Pro und Contra darüber.

Fotos: Kleinwächter; Scheffen

CONTRA: Der Protest der Landwirte ist verständlich – denn es geht natürlich nicht allein um die Ablehnung der Sparmaßnahmen, die ursprünglich von der Ampel-Regierung in Berlin verfügt wurden. Ein Berufsstand schreit nach Aufmerksamkeit, da er das Gefühl hat, in seinen Positionen von den Politikern nicht mehr wahrgenommen zu werden, meint Klaus Wallbaum.

Es gibt zwei Wege, sich mit dem Sinn und Zweck von Demonstrationen auseinanderzusetzen. Der erste besteht darin, die konkreten Forderungen zu analysieren und an den wirklichen Verhältnissen zu messen. Dann stellt man fest, ob die Rufe und Wehklagen übertrieben oder berechtigt sind. Der zweite Weg ist etwas schwieriger, er versucht zu verstehen, was die Menschen so wütend hat werden lassen – und warum sie motiviert sind, grollend auf die Straßen zu ziehen.

Nimmt man den ersten Weg, dann sind Zweifel erlaubt. Ein berechtigter Einwand lautet, dass die meisten Agrarbetriebe heute, in einer Zeit des Wandels der Landwirtschaft, die Belastungen von Kraftfahrzeugsteuerpflicht und höheren Agrardiesel-Preisen bewältigen können. Es gibt Berechnungen über Durchschnittswerte, nach denen das gar keine so große Mehrausgabe ist. Eine Einschränkung muss hier aber gegeben werden – denn Durchschnittswerte beschreiben immer nur ein Mittelmaß und nie die konkrete Situation einzelner Betriebe. Ein kleiner Bauer, der sich aufs Altenteil zurückziehen will, dessen Sohn oder Tochter den Hof aber nicht übernehmen will, weil die Risiken zu hoch seien, empfindet nicht die Preissteigerung als Problem. Für ihn besteht das Drama darin, dass sein Familienerbe nach vielen Generationen verloren zu gehen droht. Trotzdem wäre in derartigen Fällen immer noch Abhilfe möglich, etwa über Härtefallregeln für kleinere Betriebe oder über eine Streckung der Belastung, die eine bessere Vorplanung und Kalkulation ermöglicht. In diesen Fällen könnte man sagen: „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“

„Hauptadressat der Kritik sind dabei die Grünen, erkennbar wird zudem ein sich verschärfender Stadt-Land-Gegensatz.“

Der zweite Weg indes geht stärker in die Tiefe, und er verheißt weit weniger Auswege aus der Krise. Etliche Bauern, die auf ihren Plakaten auf „die Ampel“ schimpfen und skandieren „Zu viel ist zu viel“, sehen in den aktuellen Kürzungsplänen beim Agrardiesel nur den Ausdruck einer Politik, die schon lange kein Verständnis mehr hat für ihre Situation. Das bezieht die Regierungszeit von CDU/CSU und SPD mit ein, wird aber erheblich drastischer mit der Ampel-Politik und begleitend mit der seit Jahren betont ökologischen Ausrichtung der EU-Politik. Eine Naturschutzrichtlinie der EU, die erhebliche Einschränkungen für die Bauern zur Folge gehabt hätte, war erst im November in Brüssel entschärft worden. Immer wieder gibt es neuen Streit um Auflagen für weniger Düngung und weniger Pflanzenschutzmittel. Eine Tierwohl-Abgabe, mit deren Einnahmen die Bauern für den Bau größerer Ställe und damit für mehr Tierschutz unterstützt werden könnten, lässt immer noch auf sich warten. Soll deutsches Fleisch wettbewerbsfähig bleiben, bräuchte es wohl eine staatliche Subvention. Aber es passiert hier einfach nichts, trotz vieler gutgemeinter Hinweise.

Gestörter Straßenverkehr: Am Montag mussten viele Niedersachsen an kaputten Ampeln vorbeifahren. | Foto: Kleinwächter

Daneben wächst bei vielen Landwirten der Eindruck, die handelnden Politiker der Bundesregierung kreisten um Themen, die mit der Lebenssituation der Bauern nichts mehr gemein haben. Hauptadressat der Kritik sind dabei die Grünen, erkennbar wird zudem ein sich verschärfender Stadt-Land-Gegensatz. Die Grünen werden identifiziert als Stadt-Partei, die Themen wie Work-Life-Balance, Vier-Tage-Woche und gendergerechte Sprache als wichtig und zentral empfindet, während es in der ländlichen und landwirtschaftlichen Wirklichkeit nie eine Chance zu Work-Life-Balance gibt. Der Landwirt muss sich sieben Tage in der Woche um seine Tiere kümmern. Die Bürgergeld-Diskussion mit den Hinweisen darauf, dass man als Empfänger staatlicher Leistungen fast so gut leben kann wie mit einer Arbeitstätigkeit, klingt in dieser Sichtweise wie Hohn.

Auf den Bauernhöfen könnte man viele helfende Hände der Bürgergeldempfänger gut gebrauchen. Und dass den Klima-Demonstranten mit ihren Rufen nach politischen Ultimaten großes Verständnis entgegengebracht wird, wenn sie sich auf der Straße festkleben und den Verkehr behindern, stört auch sehr viele Leute auf dem Lande. Spüren sie doch, dass politischen Tagträumern mehr Gehör geschenkt wird als ihnen, den Landwirten, die täglich unter erschwerten Bedingungen die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen. Das sind Umstände, die zu einer Radikalisierung führen – und es sind Anzeichen dafür, dass die aktuelle, rot-grün geprägte Politik der Ampel-Parteien sich auf einem Holzweg befindet.