In ganz Deutschland ziehen Landwirte mit ihren schweren Traktoren über die Straßen und demonstrieren. Das ist fast überall ein beeindruckendes Bild. Aber sind diese Demonstrationen überhaupt berechtigt – oder haben die Bauern selbst Schuld daran, dass die notwendigen Reformen in der Ernährungswirtschaft bisher nicht umgesetzt werden konnten? Die Rundblick-Redaktion streitet in einem Pro und Contra darüber.

Fotos: Kleinwächter; Scheffen

PRO: Bei aller berechtigten Kritik an der erratisch agierenden Bundesregierung verspielen die Landwirte mit ihrem kompromisslosen Auftreten, ihren Drohgebärden und einer unehrlichen Debatte gerade die Unterstützung der breiten Masse, meint Niklas Kleinwächter.

Wer an diesem Montag vor die Tür treten musste, konnte es kaum übersehen oder überhören: Die Bauern protestieren wieder. Wie angekündigt haben Landwirte bundesweit mit ihren Traktoren Autobahnzufahrten blockiert und den Straßenverkehr massiv ausgebremst. Was in den vorangegangenen Wochen vereinzelt stattfand, wird jetzt generalstabsmäßig über das gesamte Land ausgerollt. Die Bauern sind empört – und alle sollen das mitkriegen. Man mag Verständnis dafür haben, dass sich hier eine Berufsgruppe, die sich ohnehin seit Jahren mit dem Rücken an der Wand wähnt, ungerecht behandelt fühlt, um ihre Existenz bangt und aufbegehren möchte. Nichtsdestotrotz gibt es am Auftreten der Landwirte allerdings auch einiges zu kritisieren:

Damit niemand sagt, man würde mit ihnen nicht reden: Stephan Weil und Miriam Staudte suchten vorm Epiphaniasempfang in Loccum das Gespräch mit den Landwirten. | Foto: Kleinwächter

Kompromisslosigkeit: Was wollen sie denn eigentlich noch? Schon als die Landwirte aus Loccum und Lippe am vergangenen Sonnabend die Zufahrt zum Epiphaniasempfang der Landeskirche Hannovers erschwert haben, drängte sich die Frage auf, welche Zusagen sie denn nun noch Ministerpräsident Stephan Weil oder Agrarministerin Miriam Staudte abringen wollten. Erst am Donnerstag haben doch die Vertreter der Landesregierung gemeinsam mit Repräsentanten der mehr oder weniger organisierten Landwirtschaft eine gemeinsame Protestnote verfasst und an Berlin adressiert: Die Kürzungspläne bei den Agrarsubventionen hält man in Niedersachsen allgemein nicht für gut – Weil fordert öffentlich die Kursänderung. Am selben Tag lenkte sogar die Bundesregierung ein und nahm ihre agrarpolitischen Vorhaben zur Sanierung des Bundeshaushalts zumindest teilweise wieder zurück. Immerhin ein Kompromiss wurde also erzielt. Rückendeckung aus Berlin und Teil-Rückzieher aus Berlin scheinen den Landwirten aber nicht genug zu sein. Die Pläne müssen komplett vom Tisch, sonst kommt da künftig auch kein Essen mehr drauf, so die Drohung der Bauern. Diese kompromisslose Haltung nützt den Landwirten gesellschaftlich aber wohl kaum. Infolge des Karlsruher Urteils muss die Bundesregierung beim Haushalt einsparen – und irgendwo muss der Rotstift nun einmal zuerst angesetzt werden.

Drohgebärden: Jede Protestform hat ihre ganz eigene Ästhetik. Mit Traktoren vorzufahren, hat dabei stets etwas Bedrohliches an sich. Vielfach wurden nun schon die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ mit denen der Landwirte verglichen. Auf einer basalen Ebene unterscheiden sie sich darin, dass die einen sich selbst verletzlich machen, die anderen mit einer zerstörerischen Gewalt auftreten. Hinzu kommt, dass sich der Landwirt auf dem Fahrersitz rein symbolisch der Gesprächsebene entzieht. Der Mensch versteckt sich hinter der Maschine und zeigt nicht einmal Gesicht, während er im Vorbeifahren anklagt. Zudem vergrößern die Landwirte ihre Wirkung durch die riesigen Gefährte noch einmal mehr: Wenige Menschen wirken wie viele, wenn sie nur auf einem Trecker sitzen. Demonstrierende Erzieherinnen oder Pflegekräfte können diesen Bluff nicht bringen. Unterstützt werden die Traktorfahrer nun passenderweise noch von einer anderen Berufsgruppe, nämlich den Lastwagenfahrern. Zumindest ästhetisch passt das gut zueinander. Diese Bildsprache des Brachialen wird nun noch einmal angeheizt durch die jüngsten Grenzüberschreitungen, sei es vor dem Privathaus der Landesagrarministerin oder beim Versuch des Bundeswirtschaftsministers, eine Fähre zu verlassen. Allen Distanzierungen zum Trotz: Es sind Bilder, die Wirkung entfalten. Es sind Drohgebärden, die die Stimmung im Land verändern.

Unehrlichkeit: Worum geht es denn nun wirklich? Als Ministerpräsident Weil am Sonnabend in Loccum das Gespräch mit den Bauern suchte, betonte er zwei Dinge: Zum einen solle ihm niemand vorhalten können, er würde sich dem Gespräch verweigern. Es geht also um das Zeichen des Zuhörens. Zum anderen, so erklärte er, sei das eigentliche Kernproblem jenseits der Agrardiesel-Diskussion, dass es seit 20 Jahren keine konsistente Agrarpolitik gebe, auf die sich die Praktiker verlassen könnten. Das ist sicherlich richtig. Aber dann muss man auch den Ministerpräsidenten im zwölften Jahr seiner Amtszeit ebenso fragen, woran das liegt, wie man die Landwirte fragen muss, warum sie sich von so vielen Veränderungen gerade überrannt fühlen. Bestimmt liegt es daran, dass die gesellschaftlichen Erwartungen sich verändert haben und die Politik erratisch vorgeht. Es liegt aber auch daran, dass es der Agrarlobby jahrzehntelang gelungen ist, ihre Klientel vor jeglichem Veränderungsdruck erfolgreich abzuschirmen. Die Misere rund um die „roten Gebiete“ etwa, über die man in der Landwirtschaft jetzt zurecht wieder und immer noch klagt, wurzelt in den 1990ern. Dass sich ein fortschrittliches Land wie Deutschland 30 Jahre lang so durchgemogelt hat, kann man jenseits der ländlichen Räume der Republik auch niemandem mehr erklären. Nachdem der Protest beendet ist und bevor die Arbeit auf dem Feld wieder ruft, sollten die Protestierenden und die Politiker, aber auch alle dazwischen und darüber hinaus sich darum bemühen, wieder in vernünftige Gespräche auf Augenhöhe einzutreten, und daran arbeiten, die Kränkungen wieder zu heilen.