Soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis unterzeichnen? Nach Artikel 82 des Grundgesetzes steht dem Staatsoberhaupt das Prüfungsrecht vor dem Inkrafttreten von Gesetzen zu – er hat einzuschätzen, ob die geplanten Reformen mit dem Grundgesetz übereinstimmen. Sollte Steinmeier davon hier Gebrauch machen und das Vorhaben aufhalten? Oder sollte er das Gesetz unterzeichnen? Die Rundblick-Redaktion diskutiert darüber in einem Pro und Contra.

Foto: Canva/Henning Scheffen

Wenn die Verfahrensregeln eingehalten wurden, muss das Cannabis-Gesetz nun ausgefertigt werden. Ob die Kritiker mit ihren inhaltlichen Einwänden richtig liegen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Nachsteuern kann man dann immer noch – spätestens am Wahltag, meint Niklas Kleinwächter.

Man muss nicht linksliberal ticken, um sich zum jetzigen Zeitpunkt für eine Unterzeichnung des Cannabis-Gesetzes durch den Bundespräsidenten auszusprechen. Es reicht die Zuneigung zur Demokratie und die Achtung ihrer Spielregeln – auch dann, wenn man mit dem Ergebnis einmal nicht einverstanden ist. Das Cannabis-Gesetz hat Mängel, aber das kann ein funktionierender Staat aushalten.

Die Form: Die Unionsparteien klammern sich an den letzten verfügbaren Strohhalm, um das vom Bundestag beschlossene und vom Bundesrat gebilligte Cannabis-Gesetz doch noch zu verhindern. Das ist ihr gutes Recht, auch wenn es etwas verzweifelt wirkt. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion argumentiert mit dem Hin und Her der vergangenen Wochen und dem deutlichen Widerspruch der Innen- und Justizminister der Länder. Und deren Widerstand war nicht gering. Auch in Niedersachsen hörten wir immer wieder die Einwände gleich dreier SPD-Ressorts: Innen, Justiz und Gesundheit – dazu später mehr.

Eine junge Frau hält einen Marihuana-Joint. | Foto: GettyImages/LordHenriVoton

Die Grünen im Kabinett gingen zumindest öffentlich aber kaum auf diese Kritik ein. Hinter den Kulissen soll es hingegen zahlreiche Diskussionen gegeben haben, heißt es. Während diese liefen, verwiesen die Regierungssprecherinnen wiederholt darauf, dass die Entscheidung der Landesregierung zum Abstimmungsverhalten im Bundesrat erst spät getroffen werde. Die Geschäftsordnung der Landesregierung war derweil stets eindeutig: Gibt es keine Einigkeit im Kabinett, enthält man sich in der Länderkammer. Ebenso eindeutig waren die Spielregeln im Bundesrat: Wird der Vermittlungsausschuss nicht mit einer Mehrheit der Stimmen angerufen, tritt dieser nicht zusammen. So ist es geschehen, selbst wenn Stephan Weil mit Bauchschmerzen die Hand unten gelassen haben sollte.



Der Bundespräsident hat qua Amt darauf zu achten, dass die Gesetze auf korrekte Weise zustande gekommen sind, dass also die Spielregeln eingehalten wurden, und dass nicht offensichtlich gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Stellt er entsprechende Verstöße fest, darf er die Unterschrift verweigern, was in der bundesdeutschen Geschichte erst achtmal der Fall gewesen ist – meist wegen Nichtzuständigkeit des Bundes oder Widerspruch zum Grundgesetz. Jeder dieser Fälle war eindeutiger als die aktuelle Situation beim Cannabis-Gesetz. Wer dennoch Verstöße gegen das Grundgesetz wittert, muss das Verfassungsgericht anrufen, und um entsprechende Entscheidung bitten. Auch diesen Schritt haben Bundespräsidenten schon gewählt, um die Lage ordentlich klären zu lassen.

Ob die Cannabis-Legalisierung den gesundheitspolitischen Ausnahmezustand wie etwa bei einer Pandemie rechtfertigt, ist zu bezweifeln – das zu klären obliegt aber Karlsruhe.

Die Inhalte: Im Sozialressort fürchtet man um die Gesundheit der Menschen, sollten sie sich ab kommendem Montag regelmäßig einen Joint anzünden. Keine Frage: Cannabiskonsum ist nicht ungefährlich. Alkoholkonsum übrigens auch nicht. Jetzt könnte wieder ein Hin und Her der Argumente folgen. Doch diese Diskussion haben wir geführt – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch leidenschaftlich im Parlament, wie sich das gehört. Ob die Cannabis-Legalisierung den gesundheitspolitischen Ausnahmezustand wie etwa bei einer Pandemie rechtfertigt, ist zu bezweifeln – das zu klären obliegt aber Karlsruhe.

Im Innenministerium hingegen befürchtet man, die Kontrollen des Gesetzes könnten schwierig werden. Auch da ist zweifellos etwas dran. Grundsätzlich gilt aber, dass der Staat nicht die Einhaltung aller Gesetze permanent kontrollieren kann. Der Staat muss davon ausgehen können, dass seine Bürger im Gros die geltenden Gesetze beachten. Ein Staat, der das nicht kann, entfernt sich im Stechschritt von einer freiheitlich-liberalen Grundordnung.

Schwerer wiegt vielleicht die Sorge des Justizministeriums. Dort fürchtet man, dass der Justizapparat mit der Umsetzung der rückwirkenden Amnestieregelung zeitweise überfordert sein könnte und so rechtswidrige Zustände entstehen könnten. Dieser Umstand ist wahrlich misslich, hätte er doch mit einer halbjährigen Umsetzungsfrist vermieden werden können. Allzu schlimm kann dieser mögliche rechtswidrige Zustand aber auch nicht sein, sonst hätten manche Landesregierungen wohl den Rechtsfrieden über ihre Geschäftsordnung stellen müssen.

Das ist eine politische Entscheidung, die der Rechtsstaat jetzt aushalten und womöglich mit Entschädigungsgeldern bezahlen muss. Das tut weh – vor allem dann, wenn das Steuergeld anderswo fehlt. Aber die Wähler wussten, worauf sie sich drogenpolitisch einlassen, als sie den Bundestag so gewählt haben, wie 2021 geschehen. Das Cannabis-Gesetz geht jetzt in die praktische Anwendung. Wenn es fehlschlägt, weiß man ja, an wem es lag. Spätestens 2025 wird wieder gewählt – und die Mehrheit der Wähler wird auch dann nicht zu benebelt sein, um eine kluge Wahlentscheidung zu treffen.