Wie gut gelingt die Integration von Menschen aus fremden Kulturen in Deutschland, speziell in Niedersachsen? Die Fraktionen im Landtag haben darüber gestern in einer „aktuellen Stunde“ diskutiert. Zunächst ging es um die Frage, warum der Wahlkampf des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland viele hier lebende Türken so stark bewege. Belit Onay (Grüne) meinte, viele in Deutschland lebende Türken würden „über Jahre hinweg eine emotionale Frustration erleben“. Das beginne mit der Erfahrung, bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche oder auch beim geplanten Diskothekenbesuch zurückgewiesen zu werden. Onay erkennt „türkische Wutbürger“, und er meint, Erdogan habe einen Weg gefunden, „diese Menschen abzuholen“.

Dass die vom türkischen Präsidenten geplante Verfassungsänderung die Gewaltenteilung aufhebe und die Kontrolle der Regierungsarbeit abbaue, werde von vielen seiner Unterstützer in Deutschland hingenommen. Im Streit über die Frage, ob türkische Politiker in Deutschland Wahlkampf treiben können, verwende Erdogan Provokationen, die aber von seinen Anhängern oft begeistert aufgenommen würden. „Ich sage allen hier lebenden Türken jedoch: Ihr seid, wenn ihr dem folgt, auf dem absoluten Holzweg“, fügte Onay hinzu. Der SPD-Politiker Christos Pantazis meinte, Erdogans Pläne seien „höchst inakzeptabel“, der türkische Präsident polarisiere und spalte damit viele türkische Gemeinden in Deutschland. Es sei richtig gewesen, die Auftritte türkischer Politiker in Niedersachsen als Teil des Wahlkampfs um das Referendum zu untersagen.

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Pantazis sieht aber mit Sorge, dass die Mehrheit der türkischen Bevölkerung in Deutschland sich hier immer noch fremd fühle und sich mit ihrem Herkunftsland Türkei identifiziere. Das liege auch daran, dass man Türken hierzulande als „Gäste“ und nicht als „Mitbürger“ eingestuft habe. Eine neue Studie der Uni Münster zeige, dass sich viele Türken hier als „Bürger zweiter Klasse“ fühlten. Die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit sei daher ein guter Weg, die Bindung dieser Menschen an den deutschen Staat noch zu verbessern. Der SPD-Politiker legt auch eine „Einbürgerungskampagne“ nahe. CDU-Fraktionschef Björn Thümler entgegnete, die Vorschläge von Pantazis würden gut klingen – doch unbeantwortet bleibe in seiner Darstellung die Frage, warum die große Mehrheit der Türken in Deutschland eben keinen deutschen Pass haben wolle, sondern auf der alleinigen türkischen Staatsangehörigkeit beharre. „Der Doppelpass löst eben nicht alle Probleme.“

Thümler forderte, wie auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr, ein Einwanderungsgesetz, mit dem gezielt um Menschen etwa aus der Türkei geworben werden könne. „Dazu gehört dann auch der Mut zu sagen, bei welchen Kriterien eine Einwanderung abgelehnt werden soll.“ Dürr sagte, ein Einwanderungsgesetz neben dem Asylrecht könne nur klappen, wenn man auch diejenigen, die keine schlüssigen Asylgründe vortragen könnten, den Aufenthalt in Deutschland verwehrt. „In den vergangenen zehn Jahren sind weniger als 15 Prozent der Zuwanderer aus Deutschland über eine geregelte Einwanderung eingereist – 85 Prozent kamen über das Asylrecht.“

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Ein anderes Thema der Integration ist die Frage, wie man mit Zuwanderern umgehen soll, die im Kindesalter geheiratet haben. Gerade Mädchen und junge Frauen in diesen Kinderehen werden unterdrückt. Sprecher aller Fraktionen lehnten gestern im Landtag die Kinderehe strikt ab. Kritik zog Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz auf sich, die vor wenigen Tagen das von der Bundesregierung beschlossene Verbot der Kinderehe in der generellen Form kritisiert hatte – weil Frauen, die schon vor Jahren geheiratet hatten, bei einem strikten Verbot Nachteile erleiden könnten. Niewisch-Lennartz war daraufhin vom CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann heftig kritisiert worden. Stefan Birkner (FDP) sagte gestern im Landtag, die Justizministerin trage für die Zuspitzung der Debatte selbst die Verantwortung, denn sie hatte ihre Kritik an den Plänen der Bundesregierung mit dem Titel „Familienrecht im Zeitalter des Populismus – Roll-Back statt Fortschritt“ überschrieben und damit zur Unsachlichkeit beigetragen. „Wenn Sie selbst ein Detail der Regelung mit dem Vorwurf des Populismus versehen, dürfen Sie sich über entsprechend heftige Reaktionen nicht wundern“, betonte Birkner.