Niedersachsens Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) fordert, dass in Niedersachsen ein Beauftragter für die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus berufen wird. „Der Hass auf Juden und auf Israel ist verbreiteter, als viele meinen. Es wird Zeit, dass sich die Politik dem Thema stärker annimmt. Deshalb halte ich es für gut, wenn auch in Niedersachsen ein Beauftragter für dieses Problem berufen wird – damit wir signalisieren, dass wir uns dem Thema annehmen“, sagte Andretta im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Auch die Liberale Jüdische Gemeinde Hannover und die Grünen im Landtag plädieren für einen Antisemitismus-Beauftragten. Skeptisch reagierte dagegen der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden, Michael Fürst. „Die Gefahr besteht, dass ein solcher Beauftragter zur Alibi-Veranstaltung wird“, sagte er dem Rundblick.

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Andretta erklärte, die Organisationsform wolle sie zunächst offen lassen. Es sei gut möglich, dass ein solcher Beauftragter beim Landtag angesiedelt wird und damit besonders enge Verbindungen zum Parlament hält. Ebenso denkbar sei, dass die Regierung einen Landesbeauftragten beruft. „Für mich ist wichtig, dass ein solcher Beauftragter sowohl Ansprechpartner für jüdische Organisationen und alle Menschen ist, die Antisemitismus erleben, als auch ein ,Vermittler‘ zu anderen Bereichen, etwa zur Wissenschaft.“

Dabei spiele der Kontakt zu Forschungsstellen und Universitäten ebenso eine Rolle wie der zur Landeszentrale für politische Bildung. Wie die Landtagspräsidentin im Interview mit dem Politikjournal weiter ausführte, ist die Vernetzung mit Beauftragten beim Bund und bei anderen Ländern ebenso hervorzuheben. In Rheinland-Pfalz beispielsweise sei schon Ende vergangenen Jahres eine solche Stelle eingerichtet worden, außerdem habe der Bundestag vor wenigen Monaten sehr ausführlich über das Thema debattiert.

Erst zu Ostern hatte es warnende Hinweise gegeben, Hannovers Landesbischof Ralf Meister sagte beispielsweise, dass er ein Aufflammen dieser Haltung in Europa fürchte – und dass für ihn Antisemitismus „Gotteslästerung“ sei. „Ich halte das auch in Deutschland nicht nur für ein Randphänomen. Nach verschiedenen Studien ist der Bodensatz der judenfeindlichen Stimmung in Deutschland bei rund 20 Prozent – und das geht quer durch alle politischen Lager“, sagte Andretta.


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Michael Fürst vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden sagte, er sehe drei Strömungen, die den Antisemitismus in jüngster Zeit gestärkt hätten – der größere Zuspruch für Rechtsextremisten, die stärkere Zuwanderung von Menschen aus muslimischen, etwa arabischen Ländern und die steigende Militanz von Gruppen junger Türken. Die Politiker in Deutschland, auch in Niedersachsen, hätten das erkannt und wollten handeln – aber sie seien hilflos, und der Ruf nach einem Beauftragten entspreche dann oft dem Wunsch, das eigene Handeln belegen zu wollen.

Klar sei für ihn aber auch: „Sollte der Bund einen solchen Beauftragten ernennen, brauchen wir auch einen in Niedersachsen, der ihm zuarbeitet.“ Außerdem sei das weite Feld der Bildungspolitik Ländersache, und hier müsse mehr getan werden. Fürst meint, sinnvoll sei „eine konsequentere Anwendung der Gesetze“: „Wenn jemand, der Menschen angreift oder Häuser anzündet, mit einem milden Urteil davonkommt, lacht er den Staat aus. Wichtig ist, dass hier auch mit Härte geurteilt wird.“

Der Beauftragte müsste ein Bindeglied zwischen Politik und jüdischer Gemeinschaft sein.

Rebecca Seidler

Die stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hannover, Rebecca Seidler, plädierte für die Berufung eines Beauftragten, der ihren Worten zufolge ein Fachmann sein müsste. „Der Beauftragte müsste ein Bindeglied zwischen Politik und jüdischer Gemeinschaft sein. Er bräuchte zum Beispiel eine sozialwissenschaftliche Qualifikation und sollte sich mit dem Thema bereits auseinandergesetzt haben“, sagte Seidler dem Rundblick. Einen Abgeordneten sieht sie nicht in der Rolle. „Es wäre vermessen zu erwarten, dass sich ein Abgeordneter mit diesem komplexen Thema allumfassend auskennt. Ein Experte wäre dagegen auch eine Bereicherung für die Arbeit in den zuständigen Landtagsgremien.“

ie Grünen-Landtagsabgeordnete Julia Willie Hamburg meinte, unter anderem die Tatsache, dass es im vergangenen Jahr im Durchschnitt vier antisemitische Straftaten pro Tag gegeben habe, mache den Bedarf für einen solchen Beauftragten sehr deutlich. Wichtig sei, dass der Beauftragte für die nötige Expertise eine entsprechende personelle Ausstattung bekomme. „Allerdings reicht ein Beauftragter alleine nicht aus, sondern muss wie auf Bundesebene auch eingebettet sein in ein Gesamtkonzept“, so Hamburg. Dazu gehöre zum Beispiel die Finanzierung von Präventionsangeboten oder auch eine begleitende Evaluation.