Soll die Landesregierung es tolerieren, dass eine Schülerin in Belm (Kreis Osnabrück) vollverschleiert zum Unterricht kommt? Der Fall beschäftigt nach wie vor die Landespolitik sehr intensiv. Nun aber gibt es Hinweise, dass eine Rechtsänderung wohl zwingend erforderlich wird. Die Landesregierung argumentiert bisher, diese Situation der Vollverschleierung müsse man hinnehmen, weil bisher der Schulfrieden nicht gestört sei. Seit zwei Jahren schon verhüllt die Schülerin ihren Kopf und Körper, den Behörden in Hannover war dies erst im vergangenen August aufgefallen. Vor wenigen Tagen sagte allerdings Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der „Neuen Presse“, dass beim anstehenden Wechsel des Mädchens auf eine Berufsschule eine andere Gangart eingelegt werde: „Dann wird der Nikab unterbunden werden.“ Der Regierungschef fügte noch hinzu: „Wir sind klipp und klar gegen die Vollverschleierung im Unterricht.“ Ein Sprecher des Kultusministeriums sagte dazu gestern, die Ausgangslage sei „an einer anderen Schule neu zu bewerten“. Deshalb könne man zwischen der momentanen und der künftigen Situation unterscheiden. Nach wie vor hat die Landesregierung aber, trotz einer anderslautenden Andeutung von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt im Landtag, noch keinen Vorschlag zur Verschärfung des Schulgesetzes unterbreitet. Allerdings geht die Landesregierung einen heiklen Weg, wenn sie Basis des bestehenden Gesetzes künftig ein Verbot der Vollverschleierung im Unterricht durchsetzen will.

Es mehren sich nämlich die Hinweise, dass das Schulgesetz in seiner jetzigen Form nicht ausreicht, die Vollverschleierung einer Schülerin zu verbieten. Das Schulgesetz erwähnt bisher nur allgemein „Aufgaben und Pflichten der Schüler“, ein dazu passender Erlass verweist darauf, den „Schulfrieden nicht zu gefährden“. Aber ist diese rechtliche Basis nicht zu schwach für ein striktes Nikab-Verbot? Ausführlich hat sich damit vor 18 Jahren der ehemalige Kultusminister und spätere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz auseinandergesetzt. Er analysierte in einem dem Rundblick vorliegenden Gutachten einen ähnlichen Fall in Hannover, der nur deshalb nicht mit einem Verweis des Mädchens von der Schule endete, weil die Familie vorher nach Pakistan ausgereist war. Mahrenholz stellte die Religionsfreiheit einerseits und den geordneten Schulbetrieb andererseits gegenüber. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass das Tragen eines Schleiers die „Befolgung eines religiösen Gebotes“ sei. Außerdem zitiert der ehemalige Verfassungsrichter die gängigen Bestimmungen wie Schulpflicht, Recht auf Bildung und das Recht des Staates, den Schulunterricht zu gestalten. Aus alldem, so sein Schluss, könne man „keine unmittelbar wirkende Ermächtigungsgrundlage für einzelne schulische Maßnahmen“ ableiten. Eigentlich brauche man eine „spezialgesetzliche Ermächtigung“, um gegen die Verschleierung als Rang eines religiösen Gebotes angehen zu können. Eine solche aber, schrieb Mahrenholz 1998, „ist in Niedersachsen nicht vorhanden“.

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Unterdessen lässt sich der Innenausschuss des Landtags heute über den Fall unterrichten. Es geht dabei um Hinweise, dass die Familie des Mädchens radikalisierter sein könnte als bisher angenommen wurde. Die Eltern, heißt es, haben inzwischen auch versucht, ihre Tochter bei einer Berufsschule in der Stadt Osnabrück anzumelden. Das sei aber angeblich fehlgeschlagen, weil die Schulleitung die Vollverschleierung nicht akzeptieren wollte. Der „Spiegel“ berichtet, dass der Vater und der Bruder des Mädchens Anhänger des in Deutschland verbotenen „Kalifatstaates“ sein sollen – und im Visier des Verfassungsschutzes seien.