Wie geht es nach der Schule weiter? Die Berufswahl fällt Schulabgängern zunehmend schwerer, Abiturienten gehen deshalb häufig erst einmal zum Studieren an die Universität. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte in vielen Ausbildungsberufen. Die Landespolitik hat erkannt: Die Berufsorientierung an den Schulen gehört auf den Prüfstand.

Zuletzt 2018 hat das niedersächsische Kultusministerium per Runderlass die Berufsorientierung zur gesamtschulischen Querschnittsaufgabe erklärt. Doch seitdem hat sich vieles verändert, eine Überarbeitung des Erlasses wurde daher angestoßen. Im Kultusausschuss des Landtags haben Referatsleiter Thomas Castens und seine Kollegen kürzlich die ersten Ergebnisse einer Evaluation aus September und Oktober 2023 vorgestellt. Die Mitarbeiter des Kultusministeriums führten aus, dass mehr als die Hälfte der Schulleitungen und ein noch höherer Anteil der Lehrkräfte, die an der Evaluation teilgenommen haben, mit dem aktuellen Erlass zwar zufrieden seien. Bedarf für Nachschärfungen gebe es allerdings etwa beim zeitlichen Beginn der Berufsorientierungsmaßnahmen, bei der Balance an den Gymnasien oder bei der Frage, ob man an Gymnasien ein zusätzliches Praktikum in der Sekundarstufe I anbieten sollte.

An diesem Donnerstag werden die detaillierten Ergebnisse beim Fachtag des Bündnisses für duale Berufsausbildung vorgestellt. Anhand von neun Punkten soll anschließend im Dialog mit den Beteiligten an einem neuen Erlass-Entwurf gearbeitet werden. Diesen will das Ministerium bis Herbst fertigstellen, damit Anfang 2025 die Verbände angehört werden können und der Erlass dann zum Schuljahr 2025/26 in Kraft treten kann. Folgende Aspekte sollen nun betrachtet werden:

  • Schuleigenes Konzept: Ob mit der Berufsorientierung in der siebten oder erst in der achten Klasse begonnen werden soll, wird unterschiedlich bewertet. Castens regt deshalb an, dies nicht zentral vorzuschreiben. Seit 2018 müssen Schulen eigene Konzepte zur Berufsorientierung erstellen, künftig sollten diese regelmäßig überarbeitet werden.
  • Verantwortliche an den Schulen: Braucht es an der Schule bestimmte Personen, die für die Berufsorientierung verantwortlich sind? Das Kultusministerium bevorzugt einen schulübergreifenden Ansatz, zeigt sich jetzt aber auch offen für sogenannte Ankerpersonen, die den Kontakt zur Wirtschaft halten und einen Praktikumspool pflegen könnten.
  • Dokumentation der Maßnahmen: Die Dokumentation der Berufsorientierung sei derzeit unzureichend, kritisieren Berufsberater. Es brauche mehr Verbindlichkeit, heißt es aus dem Kultusministerium. Dazu soll den Schülern verdeutlicht werden, wozu das nützlich ist. Die Berufswahl-App könnte dabei hilfreich sein.


  • Berufsorientierung an Gymnasien: Dass die Berufsausbildung als eine gleichwertige Alternative zum Studium vermittelt wird, sei an den Gymnasien noch nicht überall angekommen, heißt es aus Unternehmen und Verbänden. Die Zusammenarbeit mit den Berufsschulen solle deshalb ausgebaut werden.
  • Flexiblere Praktikumsmodelle: Praktika könnte mehrmals im Jahr angeboten werden oder auch mehrere Monate dauern, womöglich gar ein halbes Jahr, meint Castens. Das ginge allerdings zu Lasten des Unterrichts und der Prüfungen. Auch Fragen rund um die Versicherung und die Fahrtkosten müssten für diese Sonderfälle geklärt werden. Der Referatsleiter wirbt für kaskadierende Phasen: nach einer Welterkundungsphase könnte ein Kurz- und dann ein Langzeitpraktikum folgen. So sollen Ausbildungsabbrüche verhindert werden.
  • Aufgabe der Eltern: Über den Landeselternrat will das Kultusministerium mit den Ehrziehungsberechtigten darüber sprechen, wie Eltern bei der Berufsorientierung besser unterstützen können.
  • Kompetenzen erkennen: Vor einem Praktikum sollten den Schülern ihre Kompetenzen aufgezeigt werden. Häufig fehle dafür aber die Zeit. Früher habe es dafür externe Berater gegeben, aktuell sei das nicht mehr vorgesehen. Manche Lehrer meinen nun, ein zweites Praktikum könnte die ausgefallene „Kompetenzfeststellung“ ersetzen.
  • Vielfalt der Angebotsformen: Berufsorientierung hat viele Gesichter: Bewerbungstrainings, Ideen-Expo, Ausbildungsmessen, Peer-to-Peer-Formate und geschlechtsspezifische Zukunftstage. Den Schulen soll der ganze Instrumentenkasten dargeboten werden.
  • Doppelrolle der Berufsschulen: Den Berufsbildenden Schulen kommt eine Doppelfunktion zu: zum einen sind sie Partner der allgemeinbildenden Schulen, zum anderen müssen sie die eigene Berufsorientierung weiterentwickeln. Diese Rollen sollen gestärkt werden.