Der Katzenjammer ist groß in der SPD nach der dramatischen Niederlage bei der Oberbürgermeisterwahl in Emden. In der Stadt, die seit 60 Jahren die sozialdemokratische Hochburg schlechthin war, hatte der SPD-Kandidat für den Posten des Verwaltungschefs am Sonntag nur gut 16 Prozent erreicht. Bei insgesamt acht Kandidaten bekam der parteilose Tim Kruithoff, unterstützt von CDU, Grünen, FDP und Wählergemeinschaft, sensationelle 75 Prozent. Wie konnte das geschehen?

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In der Landespolitik und in Emden hat dazu am Montag eine muntere Debatte begonnen. Mehrere sozialdemokratische Politiker aus Ostfriesland führen das Resultat auf eine Erstarrung in der SPD-Politik der Stadt zurück. Der frühere Emder Oberbürgermeister Alwin Brinkmann (SPD) sagte dem Rundblick: „Nach der Kommunalwahl 2016, die für die SPD nicht gut ausging, hat es keinen Neuanfang in der Partei gegeben. In der Stadt wollten viele jemand an der Spitze haben, der die Richtung vorgibt. Stattdessen legte sich ein Grauschleier über das Rathaus, und darunter wuchs der Unmut gegenüber der SPD und der Verwaltungsspitze.“

Nach der langen Zeit der SPD-Dominanz haben viele Leute die Stadtverwaltung mit der SPD gleichgestellt – und ihren Ärger über viele kleine Unzulänglichkeiten dort abgeladen.

Da habe sich etwa ausgedrückt bei vielen keinen Bauvorhaben in der Stadt, bei denen der Stadtbaurat mit engagierten Bevölkerungsgruppen in den Stadtteilen aneinander geraten sei. Die SPD in Emden sei „überaltert“, sagt Brinkmann. Sie brauche mehr junge Leute und mehr Zuwendung zu den Problemen der Leute vor Ort.

Aufbruchstimmung und SPD-Überdruss

Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Dieter Haase aus Emden sagte dem Rundblick, die örtlichen Parteigremien seien zu schwach gewesen und hätten kein Profil gezeigt: „Nach der langen Zeit der SPD-Dominanz haben viele Leute die Stadtverwaltung mit der SPD gleichgestellt – und ihren Ärger über viele kleine Unzulänglichkeiten dort abgeladen.“ Wirtschaftliche Probleme kamen hinzu: Die Werften sind geschlossen, die Windkraftfirmen haben Sorgen, VW steht vor der schwierigen Umstellung auf E-Mobilität. „In dieser Situation wirkt die SPD in Emden wie ein langsam fließender, dunkler Fluss, der nicht mehr in der Lage ist, Strudel zu bilden“, beklagt Haase.

Noch weitere Aspekte werden hinzugefügt: Der Auricher SPD-Landtagsabgeordnete Wiard Siebels sagt, der siegreiche Bewerber Kruithoff habe mit seinem Motto „Veremderung“ (gemeint als Wortspiel von „Veränderung“) eine Aufbruchstimmung erzeugen können. „Er hat die größtmögliche Ablehnung der Verhältnisse verbinden können mit einer unbestimmten Hoffnung auf Verbesserung.“

Er hat die größtmögliche Ablehnung der Verhältnisse verbinden können mit einer unbestimmten Hoffnung auf Verbesserung.

Obwohl die Frage des Neubaus der einer Zentralklinik für Ostfriesland – außerhalb der Stadt – inzwischen ausgestanden scheint, zumal auch die Mehrheit der Bürger inzwischen dafür ist, sehen manche Beobachter auch hier eine Begründung: Die Stadt Emden mit ihren 50.000 Einwohnern, die ihre Kreisfreiheit mit Stolz vor sich herträgt und in Ostfriesland eine Sonderstellung behauptet, musste das eigene Krankenhaus abgeben. Was wirtschaftlich und gesundheitspolitisch gut begründet ist, mag sehr wohl das Selbstwertgefühl vieler Emder nachhaltig verletzt haben. Kann das Wahlergebnis auch eine Langzeitwirkung dieser Entwicklung sein? Die Vize-Bürgermeisterin Andrea Risius (CDU) widerspricht: „In der Klinikfrage waren diesmal alle einer Meinung, das hat die Wahl sicher nicht beeinflusst.“

Der Sozialwissenschaftler Prof. Rudolf Hickel, der aus Bremen kommt und die Verluste der dortigen SPD intensiv erforscht hat, spricht dem Emder Ergebnis „eine große Bedeutung“ zu. In der SPD gebe es „lang gehegte und demokratisch verteidigte Besitzstände“ nicht mehr, meint er gegenüber dem Rundblick. Der parteiunabhängige Kandidat Kruithoff habe den Eindruck erweckt, die Dinge pragmatisch und unideologisch anzupacken. Das habe gewirkt. Hickel wagt die These, dass hier auch Fernwirkungen der Agenda-2010-Politik spürbar seien, weil sich abhängig Beschäftigte nicht mehr in der SPD zuhause fühlten.

Sicher geglaubte Hochburgen werden erobert

Unterdessen alarmiert das Emder Resultat auch die Parteien in anderen Städten und Kreisen, die bisher als sichere Hochburgen einer der beiden großen Parteien galten. Im Kreis Osnabrück hatte die CDU im Juni nach 73 Jahren ihre Dominanz verloren, eine Grüne wurde Landrätin. In Duderstadt, einer CDU-Hochburg, lag im ersten Wahlgang der FDP-Bewerber für das Bürgermeisteramt vorn, die Stichwahl mit dem CDU-Kontrahenten ist am Sonntag.

In Hannover ist die SPD fast so vorherrschend wie sie es in Emden war, das verleiht den OB-Wahlen Ende Oktober eine große Spannung. In Vechta, einer CDU-Domäne, sind am 20. Oktober Bürgermeisterwahlen. Einer der Bewerber war mal CDU-Fraktionschef, musste dann die Partei verlassen. So tritt einer von der CDU an, einer von der SPD und einer, der früher CDU-Funktionär war. Immerhin soll der neue CDU-Kandidat recht bürgernah auftreten, heißt es. Ob das die Christdemokraten dort vor einer Schlappe wie bei den Sozialdemokraten in Emden wird bewahren können?