Der Tagesordnungspunkt kommt ein wenig unauffällig daher. „Verordnung zur weiteren Modernisierung des Strahlenschutzrechts“, so lautet Punkt 61 auf der Liste für die Bundesratssitzung am 19. Oktober. Für Andrea Goeman aus Hannover und ihre Angestellten kann er allerdings das berufliche Aus bedeuten. Ihr Betrieb ist einer von bundesweit etwa 200, die professionell Tattoos entfernen. In den vergangenen Jahren hat sie eine Kette mit 20 Studios aufgebaut. Ihr Problem findet sich in Paragraph 5 der Drucksache. Darin heißt es, die Entfernung von Tätowierungen oder Permanent-Make-up, dürften nur noch von einer Fachärztin durchgeführt werden. Andrea Goeman ist keine Ärztin.

Dieser junge Mann sieht die geplante Verordnung eher skeptisch – Foto: Fxquadro

Erstaunlich ist nicht nur das Tempo, mit dem die Verordnung und der entsprechende Passus durch Bundesumweltministerium und Bundesregierung gejagt wurden, sondern auch die neue Übergangsfrist. Denn die Gnadenfrist für Andrea Goemans Unternehmen soll jetzt nicht mehr wie im Ursprungsentwurf drei Jahre, sondern nur noch drei Monate betragen. „Wir sind erschüttert, dass ein kompletter Wirtschaftszweig in so kurzer Zeit vollständig vernichtet werden soll. Hierbei handelt sich um einen enteignungsgleichen Eingriff des Staates“, schrieb Goeman Anfang September an Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies. Vor wenigen Tagen bekam sie eine Antwort. Man habe das Schreiben zuständigkeitshalber an das Sozialministerium weitergegeben. Sie werde von dort aus Nachricht erhalten.

CDU-Politiker spricht von „Horrorszenario“

Im Sozialministerium selbst hat man sich derweil noch keine abschließende Meinung gebildet. Es gibt allerdings Zweifel daran, dass der Bundesrats-Antrag so beschlossen wird, wie er derzeit vorliegt. Und auch, dass die Abstimmung bereits in der nächsten Sitzung am 19. Oktober über die Bühne geht, ist keinesfalls ausgemacht. Es liegen gleich mehrere Änderungsanträge vor, die Gemengelage ist anderthalb Wochen vor der Sitzung noch etwas unklar. Das dürfte auch daran liegen, dass das Thema den Sprung von den Gremien in die Öffentlichkeit geschafft hat.

Sowohl Bundes- als auch Landespolitiker melden inzwischen Zweifel an den Plänen an. In Niedersachsen kamen aus SPD und FDP nachdenkliche, aus dem Bundestag schärfere Töne. Dort sprach der sächsische CDU-Politiker Alexander Krauß von einem „Horrorszenario“. Seiner Schätzung nach müsste dadurch die Zahl der Hautärzte um die Hälfte erhöht werden. Das sei völlig unrealistisch.

Einer Studie zufolge haben sich mehrere zehntausend Menschen schon einmal ein Tattoo weglasern lassen. Inzwischen sei jeder Vierte tätowiert, jeder Zehnte sogar mehrfach. Krauß rechnet damit, dass sich künftig mehr Menschen Tattoos weglasern lassen werden, weil es schlicht und einfach mehr Menschen mit Tattoos gebe. Mit so aufwendigen Behandlungen seien die rund 3500 niedergelassenen Hautärzte in Deutschland zeitlich überfordert.

Weniger Schutz für Patienten?

Auch Goeman zweifelt daran, dass Hautärzte die Behandlungen noch in ihren Terminplan bekommen, schließlich seien sie jetzt schon überlastet. „Damit droht eine Unterversorgung der Bevölkerung in diesem Bereich“, sagt sie dem Politikjournal Rundblick. Hinzu käme, dass sich ärmere Bevölkerungsschichten dann eine Tattooentfernung nicht mehr leisten könnten. Sie drohten dann in den grauen Markt, Heimanwendungen oder ins Ausland auszuweichen. Für Patienten bedeute die Verordnung dadurch weniger Schutz, also genau das Gegenteil dessen, was mit ihr eigentlich erreicht werden soll.

Die Ärzteschaft möchte sich das Geschäft mit denjenigen, die unliebsame Tattoos wieder loswerden wollen, allerdings nicht entgehen lassen. Hochleistungslaser seien kein Spielzeug und gehörten deshalb in die Hände von Ärzten, meint der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Aber lasern die Hautärzte wirklich generell besser? Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz kommt hierbei zu ganz anderen Ergebnissen. So gebe es zum Beispiel bei der dauerhaften Haarentfernung einen ersten Hinweis darauf, dass bei den Ärzten und den anderen kommerziellen Anbietern sowohl mehr vorübergehende als auch mehr bleibende Nebenwirkungen aufträten als bei den Kosmetikstudios, heißt es. Zudem lägen fast zwei Dritteln aller Nebenwirkungen an einem falschen Verhalten der Patienten.

Die Autoren der Studie kommen auch zu der Erkenntnis, dass die „Aufklärungsgespräche bei nicht-ärztlichen Anbietern (…) umfassender waren als die bei Ärzten“. Die Deutsche Gesellschaft für EU-Konformität kommt in einem Schreiben an das Bundesumweltministerium zum Ergebnis: „Der Abschlussbericht dokumentiert eindeutig und zweifelsfrei, dass apparative kosmetische Behandlungen in Kosmetikstudios sicherer sind als bei ärztlichen Dienstleistern“, weil es dort „signifikant weniger bleibende Nebenwirkungen“ gebe. Das sehen Dermatologen anders. Schon bei der Aufklärung hätte allein diese Berufsgruppe die Kompetenz, über mögliche Alternativen und deren Risiken aufzuklären, heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zu der Verordnung.

Eher selten geht es beim Beschluss einer Verordnung um die berufliche Existenz zahlreicher Menschen. Andrea Goeman sieht immer noch fassungslos dem Gang dieser Verordnung durch die Institutionen zu. Wenige Tage vor einer möglichen Entscheidung bleibt ihr zumindest noch die Hoffnung auf das Strucksche Gesetz: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist. (MB.)