Der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay, ist von den Lesern des Politikjournals Rundblick zum „Niedersachsen des Jahres 2020“ gewählt worden. Im Interview mit der Redaktion erklärt der Grünen-Politiker, wie die Großstadt in Zeiten der Pandemie regiert werden kann – und wo er die größten Herausforderungen für seine Arbeit sieht.

Rundblick: Herr Onay, die niedersächsische Sozialministerin Carola Reimann von der SPD steht derzeit im Kreuzfeuer der Kritik. Mehrere Ihrer Amtskollegen als Oberbürgermeister haben der Ministerin vorgeworfen, ursprüngliche Zusagen beispielsweise zur Impfstrategie nicht eingehalten zu haben. Wie beurteilen Sie die Rolle von Frau Reimann in der gegenwärtigen Krise?

Onay: Wir brauchen  wirklich eine bessere Kooperation. Nun ist es nicht so, dass es keinen Kontakt gäbe. Fast wöchentlich gibt es einen Austausch, auch direkt mit den Mitarbeitern des Sozialministeriums. Aber dann erleben wir, dass plötzlich Dinge geändert werden und wir mit einer neuen Situation umgehen können. Sicher habe ich Verständnis: Wir alle befinden uns in einer Krise und müssen mit ungewohnten Herausforderungen fertig werden. Aber das Sozialministerium sollte auch erkennen, dass die Kommunen an einem Strang ziehen und bereit sind, hohe Verantwortung zu übernehmen. Als es darum ging, auf welche Art die Senioren über die bevorstehenden Impfungen informiert werden, haben wir unsere Hilfe angeboten – und das ist von der Ministerin nicht angenommen worden. Da wurde dann anders entschieden. Bei dieser Frage wurde dann deutlich, dass eben nicht alles rund läuft im Sozialministerium.

Rundblick: Die Ministerin und der Ministerpräsident sagen, bei einem so großen Mangel an Impfstoff wie derzeit sei das nun mal nicht anders zu erwarten gewesen…

Onay: Klar, das Grundproblem ist der mangelnde Impfstoff. Aber der holprige Start der Impfkampagne zeigt doch, dass hier auch eine organisatorische Überforderung zu beobachten ist. Wir brauchen hier schnellstmöglich Verbesserungen im Management. Bei vielen meiner Amtskollegen gibt es eine erkennbare Frustration, denn es sind die Bürgermeister und Landräte, die am Ende den Ärger der Menschen abbekommen, wenn sie auf einen Impftermin vertraut haben und am Ende vertröstet werden – weil die Regeln des Landes vorher nicht klar und eindeutig genug mitgeteilt wurden.

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Rundblick: Die Corona-Krise hat den Wandel des Einzelhandels beschleunigt. Als OB von Hannover stehen Sie auf einmal vor dem Problem, dass angesehene große Kaufhäuser wie Karstadt plötzlich aufgeben. Was tun Sie, damit die City nicht verödet?

Onay: Vor dem Problem steht Hannover nicht allein. Auch andere Städte leiden darunter, etwa Leipzig oder Mannheim. Die Politik muss die Oberzentren in den Blick nehmen und erkennen, dass von den Innenstädten eine Strahlkraft auf die ganze Umgebung ausgeht. Wenn wir nach dem Ende der Corona-Krise schnell dafür sorgen wollen, dass Kaufhäuser nicht leer stehen, sondern dort etwas angeboten wird – auch etwas, das mit Spiel, Sport, Kultur und Gastronomie zu tun hat, dann müssen wir schnell handeln können. In Nordrhein-Westfalen hat das Land einen Fonds aufgelegt und 70 Millionen Euro bereitgestellt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier denkt in eine ähnliche Richtung. Bund und Land sind hier gefordert, wir sollten bald Gespräche darüber führen. Wichtig ist, dass wir in dem Moment, in dem die Pandemie endlich vorüber ist, schnell handeln können. Dazu müssen wir aber auch jetzt schon in den Startlöchern stehen. Je länger sich die Sache hinzieht, desto schwieriger wird das am Ende.

Der Lockdown ist gerade für die Geschäfte im Stadtzentrum knüppelhart. Da gibt es nicht zu beschönigen.

Rundblick: Was kann Hannover aus eigener Kraft leisten, um der City Rückenwind zu geben?

Onay: Zunächst: Der Lockdown ist gerade für die Geschäfte im Stadtzentrum knüppelhart. Da gibt es nicht zu beschönigen. Aber aus Infektionsschutzgründen sind die Maßnahmen zwingend geboten – das zeigen nicht zuletzt die erhöhten Fallzahlen von Mutationen in der Region Hannover. Als Stadt wollen wir mit dem Innenstadtdialog den Menschen mit Ihren Ideen einen Raum geben. Es geht darum, den Takt zu bestimmen, in dem das Herz der Stadt zukünftig schlägt. Mir ist es wichtig, mehr Aufenthaltsqualität zu erreichen. Wie das gelingt, wollen wir mit den Menschen besprechen.

Rundblick: Schwierig dürfte für Sie die Sache auch deshalb werden, weil in Ihrem Stadthaushalt wegen der Gewerbesteuereinbrüche gähnende Leere herrscht….

Onay: Wir müssen lernen, mit weniger Einnahmen noch besser zu arbeiten – und auch entschlossen die Verwaltung reformieren. Es geht um mehr eigenverantwortliche Einheiten und weniger Hierarchien, es geht auch um den konsequenten Einsatz der digitalen Mittel. Mit unserem neuen Personaldezernenten sind wir bereits dabei, die richtigen Konzepte zu entwickeln. Mir geht es auch um ein Signal an die Mitarbeiter der Stadtverwaltung: Die Digitalisierung und die Verwaltungsreform sollen ihnen Ballast aus der täglichen Arbeit nehmen, ihnen mehr Freiräume für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen. Die Bedingungen sind nicht optimal, bis zu 800 Stellen bei uns bleiben unbesetzt. Auch wir leiden unter dem Fachkräftemangel. Deshalb geht es auch um eine Prüfung der Frage, auf welche Aufgaben die Stadtverwaltung künftig womöglich verzichten kann und soll – zu dem Zweck, dass die Mitarbeiter nicht überfordert, sondern entlastet werden.

Rundblick: Ein Bürgerbegehren zur Abschaltung des Kohlekraftwerks in Stöcken ist gestartet worden. Die Initiatoren wollen, dass dort schon 2026 Schluss ist – und nicht erst 2030. Ihre Stadtwerke haben schon ausgerechnet, dass dann für die Wärmeerzeugung bis zu 14 Ersatzanlagen gebaut werden müssten. Der frühere Ausstieg droht damit zu einer enormen Belastung für die Stadt und die Stadtfinanzen zu werden, oder?

Onay: Ich stehe dem Bürgerbegehren aufgeschlossen gegenüber. Ja, der Plan des früheren Ausstiegs ist tatsächlich ehrgeizig. Die Einwände der Stadtwerke nehme ich sehr ernst, aber es ist auch ein wichtiges Ziel, dass wir uns für den Klimaschutz so früh wie möglich von der Kohle verabschieden. Ich bin mir sicher, in der Stadtgesellschaft wird in den kommenden Monaten intensiv über das Thema diskutiert.

Ein früheres Abschalten des Kohlekraftwerkes ist insbesondere in Bezug auf die Wärmeversorgung eine große Herausforderung.

Rundblick: Was wären denn Bedingungen, unter denen einen früheren Kohleausstieg stattfinden kann?

Onay: In erster Linie reden wir darüber, dass die Versorgungsqualität der Menschen gewährleistet werden muss. Ein früheres Abschalten des Kohlekraftwerkes ist insbesondere in Bezug auf die Wärmeversorgung  eine große Herausforderung. Wir müssen prüfen, ob die Hürden, wie zum Beispiel rechtliche Genehmigungsverfahren, innerhalb so kurzer Zeit genommen werden können. Dazu kommt auch eine finanzielle Herausforderung: Investitionen von Enercity in einen früheren Kohleausstieg werden auch Auswirkungen auf unseren städtischen Haushalt haben. Wichtig ist, dass Kommunen beim Kampf gegen die Klimaerhitzung nicht alleine gelassen werden. Es ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass der Bund nur dort unterstützt, wo der Kohleabbau enden wird, beispielswiese in der Lausitz oder dem Rheinland. Hannover wird wie viele andere Städte dabei  nicht berücksichtigt und das ist aus meiner Sicht falsch.