Politiknerds – das sind Macher, das sind Gewinner, das sind strahlende Menschen, die Erfolgsgeschichten erzählen und Karriere machen. Oder? Nein, so stimmt das nicht immer. Unser Politiknerd in dieser Woche ist jemand, der ins Straucheln gekommen ist auf einer steinigen Piste. Und er ist jemand, der offen darüber erzählt, dass bei ihm nicht immer die Sonne scheint: Gerade deshalb ist Dennis Hasselmann als Politiknerd ein Vorbild.

Politiknerd Dennis Hasselmann | Foto: privat

Dennis Hasselmann hat viele Stationen durchlaufen. Ausgebildet wurde der 29-Jährige vor Jahren zum Versicherungskaufmann, aber das sagte ihm nicht so zu. Es folgten Beschäftigungen als Landesgeschäftsführer der Jungen Union, als Begleitung für Bernd Althusmann im Wahlkampf 2017 oder als Büroleiter des CDU-Landtagsabgeordneten Lasse Weritz. Als sein Leben eine unerwartete Wendung nahm, arbeitete Dennis Hasselmann gerade für die CDU Hannover als Kreisgeschäftsführer. Das war 2019, als die Landeshauptstadt gerade einen neuen Oberbürgermeister suchte und die CDU mit ihrem Kandidaten Eckhard (Ecki) Scholz, dem früheren Chef von Volkswagen Nutzfahrzeuge, gute Chancen im politischen Wettstreit mit Belit Onay von den Grünen hatte. Während dieser Zeit starb die Mutter von Dennis Hasselmann. Ein Einschnitt, dessen Tiefe er allerdings erst Monate später bemerkte. „Ich habe erst gar nicht gewusst, was mit mir ist. Man funktioniert einfach nur noch“, erinnert sich Dennis Hasselmann im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Erst im November oder Dezember, als der Wahlkampf endgültig abgeschlossen war, fiel ihm auf: Da stimmt etwas nicht. Was genau nicht stimmte, war ihm aber nicht sofort klar. Zunächst hieß es schlicht: überarbeitet.

Dass Dennis Hasselmann an einer Depression leidet, diagnostizierte man erst Monate später. Für die folgenden anderthalb Jahre wurde ihm ärztlich eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Zwölf Wochen hielt er sich in einer Klinik auf, weitere zwölf Wochen lang besuchte er eine Tagesklinik. „In der Zeit habe ich viel aufgearbeitet, wovon ich gar nicht wusste, dass es mich so belastet – zum Beispiel, dass ich in der Kinder- und Jugendhilfe gewesen bin“, schildert Dennis Hasselmann heute. In der Therapie hat Dennis Hasselmann dann entdeckt, dass er eigentlich gerne als Erzieher arbeiten würde. Doch diesen Wunsch konnte er sich dann doch nicht erfüllen. Die Erkrankung tritt schließlich in Schüben auf und kommt immer mal wieder zum Vorschein. Antriebslosigkeit, ein Erschöpfungsgefühl und immer wieder diese Gedanken. In der schlimmsten Phase trieb ihn das fast zum Suizid. „Ich stand schon auf dem Balkon und hatte mit allem abgeschlossen“, sagt Dennis Hasselmann. Diese Gedanken sollten aufhören, der ständige Druck, den er sich selbst gemacht hat, das Gefühl, niemals genug zu sein – all das sollte endlich nicht mehr sein.

Dennis Hasselmann hat sich dazu entschlossen, offen über diese Gedanken, seine Gefühle, die Ängste, diese furchtbare Krankheit zu sprechen. Er will das Tabu brechen und hat dafür die Öffentlichkeit der sozialen Medien gewählt. Bei Facebook und Instagram schildert er immer wieder, wie es ihm ergangen ist, wie es ihm derzeit geht. Besondere Aufmerksamkeit erregte er auf der Plattform „Clubhouse“, die vor einigen Jahren einen intensiven, aber kurzen Hype ausgelöst hatte. Einmal stellte dort Peter Tauber, der frühere Generalsekretär der CDU unter Angela Merkel, sein neustes Buch vor, in dem es darum geht, Schwächen zeigen zu können: „Du musst kein Held sein“. Tauber erzählt darin seine eigene Geschichte, wie ihn der Leistungsdruck fast erdrückt hätte und er dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen ist.



Hasselmann und Tauber kannten sich aus Wahlkämpfen und so kam es, dass die beiden gemeinsam auf „Clubhouse“ vor zahlreichen Zuhörern über Taubers Buch sprachen. Dennis Hasselmann begann bei dieser Gelegenheit erstmals damit, öffentlich von seiner eigenen Grenzerfahrung zu berichten – ein mutiger Schritt, der Hasselmann viel abverlangt hat. Später hat Tauber Hasselmann in seinem neuen Buch vorkommen lassen. Es heißt „Mutmacher“. Die Reaktionen auf seine öffentlichen Bekenntnisse fielen derweil unterschiedlich aus. Die einen applaudierten seinem Mut, andere schrieben ihm anonym, er solle endlich Ruhe geben. Unterschwellig habe man ihm sogar zu verstehen gegeben, er solle sich doch wirklich endlich das Leben nehmen. „Am meisten gewundert hat mich aber, wie viele aus der Politik sich gemeldet und erzählt haben, dass es ihnen ähnlich geht, die ihre Symptome beschrieben haben und Rat wollten“, verrät Hasselmann.

Inzwischen arbeitet Dennis Hasselmann bei einer Fahrschule und kann dort jungen Menschen bei etwas helfen, was ihm selbst nicht immer gelingt: die eigene Angst überwinden und lernen, mit Druck umzugehen. „Ich könnte nie wieder in der Politik arbeiten, so schade das auch ist“, bekennt er heute. „Du musst immer perfekt sein, immer geradestehen, immer funktionieren.“ Und dann ist da noch der Konkurrenzkampf. Seinen Parteifreunden rät Dennis Hasselmann, der „nur“ Bezirksvorsitzender der Jungen Union Elbe-Weser ist, nicht mehr als ein einzelnes Amt zu bekleiden. Mehr schaffe man ohnehin nicht. Aber für viele gehe es dabei einfach um die Absicherung ihrer Macht.



Bundestagsabgeordneten, die ihm öffentlich (und vielleicht auch öffentlichkeitswirksam) ihren Beistand zusichern, rät Hasselmann noch etwas anderes: Die Entscheidungsträger sollten sich endlich für eine bessere Prävention gegen psychische Erkrankungen einsetzen. Der Mangel an Psychiatern und Psychologen müsse beendet werden, damit man zeitnah einen Therapieplatz kriegen kann und nicht bis zu sechs Monate warten muss. „Ich finde es sehr enttäuschend, dass in solchen Fällen erst gehandelt wird, wenn wieder etwas Schlimmes passiert. Muss erst ein eigener Angehöriger betroffen sein und einen Suizid begehen, damit man endlich merkt, wie schlimm es um Zehntausende, wenn nicht sogar mehr Menschen in Deutschland steht? Darüber bin ich sehr enttäuscht“, sagt er. Das ist nun sein großes politisches, aber auch sein ganz persönliches Thema.


Hinweis: Sie fühlen sich nicht gut, haben gar suizidale Gedanken oder brauchen einfach mal jemanden zum Reden? Dann wenden Sie sich bitte an eine geeignete Hilfeeinrichtung, etwa die Telefonseelsorge unter 0800.1110111 | 0800.1110222 | 116.123 – Ihr Anruf ist kostenfrei.


Fast jede Woche stellt die Rundblick-Redaktion im kostenlosen Sonntagsnewsletter die „Politiknerds“ aus Niedersachsen vor. Ihre politischen Ziele mögen sich unterscheiden, aber was sie verbindet, ist die Leidenschaft für Politik. Noch sind sie keine Polit-Promis – aber ohne die Engagierten an der Parteibasis, im Verein oder anderswo wäre unser politisches System deutlich ärmer. Hier geht’s zur Übersicht