Corinna Weiler ist von einem kleinen Dorf in der Eifel über das Auswärtige Amt schließlich nach Hannover gekommen. Dort hilft sie seit einigen Jahren verschiedensten Menschen dabei, so zu sein, wie sie sind. Ihr Ziel hat sie dabei stets klar vor Augen und agiert sehr reflektiert politisch. Wir dürfen vorstellen: Politiknerd Nummer Zehn.

Politiknerd Corinna Weiler | Foto: Andersraum

Mit Demonstrationen kennt sich Corinna Weiler aus. Schon als Kind nahmen ihre Eltern sie mit zu Kundgebungen gegen die Stationierung von Pershing-Raketen. Damals erhielt sie eine Anstecknadel, die sie als „jüngster Teilnehmer“ auswies. („Gegendert hat man das damals noch nicht.“) Heute gehört es zu ihrem Job, jedes Jahr mindestens eine große Menschenrechtsdemonstration zu organisieren. In ein paar Wochen findet in Hannover wieder der alljährliche Christopher Street Day (CSD) statt, eine Kombination aus Protest und Straßenfest, aus politischer Demonstration und ausgelassenem Feiern. Schon zum achten Mal trägt Corinna Weiler vom „Andersraum e.V.“ die Verantwortung für das Großereignis, das in der Landeshauptstadt traditionell am Pfingstwochenende ausgerichtet wird. Der CSD erinnert an die Aufstände in der New Yorker Christopher Street Ende der 1960er Jahre. Damals wehrten sich queere Menschen gegen die staatlichen Repressalien, erst gewaltsam, dann mit Transparenten. Inzwischen ist das Erinnern an dieses Ereignis zum Event geworden und Jahr für Jahr wird darüber diskutiert, ob das überhaupt noch eine politische Veranstaltung ist.


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Für Corinna Weiler ist die Antwort ziemlich klar, aber keinesfalls holzschnittartig. „Jede und jeder kann aus eigenen Gründen zum CSD kommen“, sagt die 36-Jährige im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Er sei schließlich auch eine Art von politischer Praxis, dort hinzukommen, um zum queeren Set einer Drag Queen zu tanzen. Für andere, die zum ersten Mal zu einem CSD kommen, ist das womöglich ein wichtiges Statement, das sie brauchen können. „Das ist Ausdruck von Freiheit. Was zunächst wenig politisch wirkt, ist auch politisch“, erklärt sie. Gleichzeitig sei der „Andersraum e.V.“ kein Partyveranstalter, das könnten andere besser, sagt Corinna Weiler. Ihr ist deshalb auch die Teilnahme politischer Organisationen bei der Demo und dem Straßenfest auf dem Opernplatz wichtig. Andere sehen das allerdings anders, was sie auch nachvollziehen könne. „Das sind dann aber meistens auch politische Leute, die sagen, dass die Parteien nicht kommen sollen, weil die sich nicht ausreichend engagiert haben.“ Die Ungeduld teile sie, sagt aber auch: „Ich glaube, dass man weiterkommt, wenn man im Gespräch bleibt.“

Bei allem, was Corinna Weiler tut, behält sie ihre Grundvision vor Augen: Sie will marginalisierte Menschen empowern, also dazu befähigen, selbstbestimmt zu leben und ihre Interessen eigenständig durchzusetzen. „Wir sind alle für etwas anderes auf der Welt, das ist meins, das mache ich“, sagt sie im Rundblick-Gespräch. Seit 2016 geht sie diesem Ziel hauptberuflich im „Andersraum“ nach. Der Verein betreibt in Hannover das gleichnamige queere Zentrum, in dem sich allerlei Gruppen treffen können. Später kam noch ein queeres Jugendzentrum hinzu. Außerdem organisiert der Verein den CSD Hannover und bildet das Dach für das Aufklärungs- und Antidiskriminierungsprojekt „Schlau“, bei dem im sogenannten Peer-to-Peer-Ansatz junge queere Menschen auf Einladung in Schulklassen gehen.



Dass ihr Weg sie einmal nach Hannover führen würde, war allerdings eher unwahrscheinlich. Aufgewachsen ist sie in der Eifel, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Koblenz. Zum Studium ging Corinna Weiler dann nach Trier, auch weil es dort keine Studiengebühren gab. Zunächst wollte sie Lehrerin werden, wählte Germanistik und Politik sowie Deutsch als Fremdsprache als ihre Studienfächer. „Das war eine typische Arbeiterkind-Entscheidung“, sagt sie heute. Weil sie keine Ahnung hatte, was man alles werden kann, entschied sie sich zunächst für etwas, das sie kannte. Im Laufe der Zeit ergänzte sie ihre Fächerkombination noch um Gender und Postcolonial Studies, was wiederum keine typische Startkombination für Erstakademiker wäre. Kurz vorm Abschluss packte sie die Angst, sie könnte als arbeitslose Sozialwissenschaftlerin enden, weshalb sie, wie sie sagt, komplett überkompensierte. Das führte auch dazu, dass sie sogar noch vor Ende des Studiums einen Job fand, und zwar nicht irgendwo, sondern im Auswärtigen Amt in Berlin. Dort organisierte Corinna Weiler dann ein Jahr lang Fortbildungen für internationale Diplomaten.

Obwohl die Stelle in Berlin unbefristet war, wollte sie etwas anderes – einen Job mit etwas mehr Beinfreiheit, den sie in Hannover schließlich gefunden hat. Ihren Erstwohnsitz hat sie derweil trotzdem noch in der Bundeshauptstadt und dort ist sie auch Mitglied einer Partei, was sie feinsäuberlich von ihrem Berufsleben zu trennen versucht. 2013 ist Corinna Weiler bei den Grünen eingetreten – aus Trotz, könnte man sagen. Als die Debatte über einen möglichen „Veggie-Day“, also einen Tag in der Woche, in der es in öffentlichen Kantinen und Mensen nur vegetarische Gerichte geben sollte, den wahlkämpfenden Grünen politisch das Genick brach, ärgerte sie sich so sehr, dass sie eingetreten ist. Sie wollte mitentscheiden, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Inzwischen sind die Grünen wieder Teil der Bundesregierung und im Auswärtigen Amt treibt Annalena Baerbock die feministische Außenpolitik voran, deren großes Ziel es ist, marginalisierte Gruppen auf der Welt zu empowern, wie Corinna Weiler es in Hannover auf eine andere Weise auch tut.



Fast jede Woche stellt die Rundblick-Redaktion im kostenlosen Sonntagsnewsletter die „Politiknerds“ aus Niedersachsen vor. Ihre politischen Ziele mögen sich unterscheiden, aber was sie verbindet, ist die Leidenschaft für Politik. Noch sind sie keine Polit-Promis – aber ohne die Engagierten an der Parteibasis, im Verein oder anderswo wäre unser politisches System deutlich ärmer.