Das Büro des Landtagspräsidenten liegt im ersten Stock des Gebäudes. Zuerst steht Marlene Bethlehem, die Präsidentin der Memorial Foundation for Jewish Culture, vor dem Fahrstuhl. Als andere schon auf den ersten Treppenstufen sind, läuft sie auch die Treppe hoch, begleitet von Michael Fürst, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hannover. Trotz ihrer anstrengenden Reise ist die 76-Jährige gut zu Fuß, in den 60er Jahren trat die ehemalige Tennisspielerin für Südafrika sogar in Wimbledon an und gewann die Silbermedaille. In den vergangenen fünf Tagen hielt sie eine Rede im NDR-Funkhaus und trug sich in das Goldene Buch der Stadt Hannover ein. Am Morgen soll sie vor dem Niedersächsischen Landtag sprechen, zuvor gibt es noch eine Tasse Tee beim Landtagspräsidenten. Nach einem warmherzigen Empfang und einem geschichtlichen Exkurs Busemanns ins 19. Jahrhundert trägt sie sich auch hier ins Gästebuch ein: „With best wishes“, schreibt Bethlehem.

Marlene Bethlehem trägt sich ins Gästebuch des Landtages ein - Foto;: MB.

Marlene Bethlehem trägt sich ins Gästebuch des Landtages ein – Foto;: MB.

Die Memorial Foundation for Jewish Culture in New York wurde vor mehr als 50 Jahren gegründet. Ihr Ziel ist es, nach dem Holocaust das jüdische Kulturleben wieder aufzubauen. Dabei konzentriert sie sich unter anderem auf Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler und Rabbiner. Sie vergibt Stipendien in Ost- und Westeuropa, Südamerika, Australien sowie Südostasien. Seit dem Sommer vergangenen Jahre ist Marlene Bethlehem aus Südafrika die Präsidentin der Organisation.

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„Agony and Ecstasy“ – Qual und Entzückung, mit diesem Titel eines Buches aus der 60er Jahren fasst Bethlehem im Gespräch mit Parlamentspräsident Busemann ihre vergangenen Tage in Niedersachsen zusammen. Es sei eine große Freude gewesen, die südafrikanische Flagge vor dem Rathaus in Hannover zu sehen. Der Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen habe sie aber sehr mitgenommen. „Das war ein schwerer Tag“, erzählt sie und berichtet, wie sie dort an ihren Freund Tomi Reichenbach dachte. Er war als Neunjähriger in das Konzentrationslager gebracht worden und schilderte später in einem Buch seine Erlebnisse. Das Ausbreiten des Rechtspopulismus in Europa bereitet Marlene Bethlehem Sorgen, ebenso die Präsidentschaft von Donald Trump in den USA. Dennoch: Das Wort Antisemitismus wird in dem Gespräch im Büro des Präsidenten nicht ein einziges Mal fallen.

Marlene Bethlehem (Mitte) mit Michael Fürst (links) und Bernd Busemann (rechts)

Marlene Bethlehem (Mitte) mit Michael Fürst (links) und Bernd Busemann (rechts)

Seit zwölf Jahren wird am 27. Januar dem Holocaust gedacht. Es ist der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Das Lager Bergen-Belsen in Niedersachsen erreichten die britischen Truppen erst drei Monate später. Der Holocaust hatte auch das jüdische Leben in Hannover nahezu ausgelöscht. Noch in der Weimarer Zeit gab es in Hannover mit mehr 5.500 Menschen die mit Abstand größte jüdische Gemeinde in Norddeutschland. Nur 27 überlebten die Verfolgung durch die Nazis.

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Nach dem Tee und einem Gastgeschenk, ein Porzellanpferd aus der Manufaktur Fürstenberg, geht es für Marlene Bethlehem hinüber in den Plenarsaal des Landtages. Dort soll sie anlässlich des Holocaust-Gedenktages zu Beginn der Plenarsitzung eine Rede halten. Sie stellt den Abgeordneten ihre Organisation vor und sagt, es gebe unter anderem Büros in Istanbul, Warschau oder Moskau. In Ihrer Rede wechselt sie zwischen der englischen und der deutschen Sprache. „Mein Traum ist es, die Memorial Foundation for Jewish Culture nach Deutschland zu bringen“, sagt sie auf Deutsch. Sie versuche das im Jahr 2018 zu erreichen. „Ich hoffe, dass wir uns im nächsten Jahr wiedersehen.“ In ihrer Rede geht sie kurz auf das Haus der Religionen in Hannover ein. Das Zentrum für interreligiöse und interkulturelle Bildung ist einmalig in Deutschland. „Die Zusammenarbeit der Religionen ist wichtiger denn je“, appelliert sie an die Abgeordneten. Am Ende der Rede und während des langen Applauses kommen Marlene Bethlehem dann die Tränen. Es ist der Schlusspunkt einer für sie anstrengenden Reise – in die Vergangenheit und in die Zukunft. (MB.)