Die Bevollmächtigte der evangelischen Kirchen in Niedersachsen, Kerstin Gäfgen-Track, verteidigt den Religionsunterricht. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick warnt sie davor, diesen Schritt für Schritt vollständig durch einen Werte-und-Normen-Unterricht zu ersetzen.

Der Religionsunterricht hat für die Schüler einen besonderen Reiz, meint Kerstin Gäfgen-Track. Foto: Christian

Rundblick: Frau Gäfgen-Track, die Landesregierung will als Modellversuch den Werte-und-Normen-Unterricht in der Grundschule einführen. Was halten Sie davon?

Gäfgen-Track: Die Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen ist dafür. Es kann nur nützlich sein, in der Schule frühzeitig die Kinder an philosophische, weltanschauliche und religiöse Themen heranzuführen.

Rundblick: Aber besteht nicht die Gefahr, dass dann irgendwann der wertneutrale Werte-und-Normen-Unterricht den Religionsunterricht ablösen soll? Einige Politiker haben sich doch schon in diese Richtung geäußert…

Gäfgen-Track: So etwas darf eben nicht passieren. Der Werte und Normen-Unterricht soll eine notwendige Alternative zum Religionsunterricht sein, aber ihn nicht ersetzen. Ich weiß, dass bei einigen Politikern der Grünen, manchen Vertretern der GEW und auch im Landeselternrat solche Gedanken schon einmal laut wurden. Das Land Brandenburg geht ja diesen Weg, dort gibt es das Fach Lebenskunde-Ethik-Religion verpflichtend für alle – und Religionsunterricht nur fakultativ für jene, die das zusätzlich wollen. Dieser Weg wäre hierzulande schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig.

Rundblick: Warum?

Gäfgen-Track: In Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes wird dem Religionsunterricht Verfassungsrang eingeräumt. Das gilt in allen Ländern, bis auf Bremen, Brandenburg und Berlin, die schon vor der Verabschiedung des Grundgesetzes eine andere Regelung hatten oder das später so festgelegt haben. Bei uns gilt: Wenn das Kind eine christliche Konfession hat, ist der Religionsunterricht verpflichtend – sofern die Eltern es wollen oder das Kind, wenn es mit 14 Jahren religionsmündig ist, keine Befreiung davon haben will. Abmelden kann man sich davon schon, aber erst einmal ist der Unterricht eben verpflichtend. Das ist auch gut so. Es muss die Möglichkeit einer religiösen als auch einer weltanschaulich geprägten Bildung geben.

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Rundblick: Aber immer weniger Kinder haben doch Eltern, die entweder evangelisch oder katholisch sind. Dann ist es doch logisch, wenn die Bedeutung des Religionsunterrichts abnimmt. Könnte man nicht stattdessen Werte und Normen unterrichten?

Gäfgen-Track: Zunächst mal möchte ich mit Vorurteilen aufräumen. 76 Prozent der Schüler in Niedersachsen besuchen den christlichen Religionsunterricht in drei Varianten – entweder Evangelische Religion, Katholische Religion oder den konfessionell-kooperativen Unterricht, also ein Angebot an Katholiken wie Protestanten. Das sind weitaus mehr Schüler als die, die einer christlichen Konfession angehören. Ich leite daraus ab, dass der Religionsunterricht auf die Schüler schon einen besonderen Reiz haben muss.

Rundblick: Ist es nicht am Ende egal, ob das nun Religionsunterricht oder „Werte und Normen“ heißt?

Gäfgen-Track: Ganz und gar nicht. Wer „Werte und Normen“ unterrichtet, gibt einen Überblick über die Weltreligionen und Philosophien. Das ist gut und richtig, aber das Besondere des Religionsunterrichts ist, dass der Lehrer einen klaren Standpunkt hat und für die Religion steht, die er unterrichtet. Das geschieht in einer aufgeklärten, kritisch-reflexiven Weise. Das heißt, der Lehrer soll zur Auseinandersetzung mit dem Glauben anregen. Damit ist der Unterricht ein Angebot an die Schüler, die Religion entweder anzunehmen – oder auch zu sagen, dass er sich von ihr abwenden will. Die Vorstellung, die vielleicht noch in den fünfziger Jahren in manchen Köpfen herumgeisterte, der Unterricht solle missionieren, gibt es heute längst nicht mehr. Mit diesem Religionsunterricht leisten wir auch einen Beitrag zur Völkerverständigung – und gegen den Fremdenhass.

Rundblick: Kann diese Aufgaben nicht auch der Werte-und-Normen-Unterricht leisten?

Gäfgen-Track: Nein. Der Werte-und-Normen-Lehrer muss seinen Standpunkt nicht deutlich machen. Er kann aus ganz unterschiedlichen Vorprägungen kommen. „Werte und Normen“ betrachtet die Religionen nur von außen, lädt aber nicht zwingend zur Auseinandersetzung ein. Jedes Fach, sowohl Religion wie auch Werte und Normen, ist sinnvoll und notwendig in der Schule.

Rundblick: Wie ist es eigentlich um den Islamunterricht in Niedersachsen bestellt?

Gäfgen-Track: Nach dem, was ich höre, ist der islamische Religionsunterricht – den wir als evangelische Kirchen gut und richtig finden – noch nicht so weit, wie er sein sollte. Es geht auch im islamischen Religionsunterricht darum, Dogmen und schriftliche Überlieferungen zu hinterfragen. Im evangelischen Religionsunterricht geschieht das etwa, wenn wir jene Bibelstellen, die Homosexualität verdammen, in den historischen Kontext einordnen und nicht wortwörtlich annehmen. Ein solcher Umgang mit dem Koran muss erst noch common sense in der Islamischen Theologie und im Islamischen Religionsunterricht werden. So weit ist die Islamische Theologie leider insgesamt noch nicht. Es ist aber entscheidend für die Stellung des Islamischen Unterrichts an der Schule, dass im Studium, etwa an der Fakultät in Osnabrück und dann im Referendariat, eine solche historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Koran gelehrt wird.