Normalerweise gibt die „allgemeinpolitische Debatte“ kurz vor der Verabschiedung des Haushaltsplans den Fraktionen im Landtag immer noch mal eine Gelegenheit, ihren eigenen Standort zu bestimmen. Doch in den vergangenen Jahren waren diese Rituale oft nicht mehr so ausgeprägt. Gestern jedoch, zum Auftakt der Debatte über den Etat 2019, der morgen beschlossen werden soll, bemühten sich die Redner doch um eigene Akzente – vor allem jene aus dem Lager der Opposition von Grünen, FDP und AfD.

Die Grünen waren in den vergangenen Monaten oft mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sie seien zu vorsichtig, wenn es um die Kritik am früheren Regierungspartner SPD gehe. Vor allem die Fraktionsvorsitzende Anja Piel stand im Ruf, zu sehr eine vermittelnde Art anzustreben und keine glaubwürdige Angreiferin zu sein. In diesem Jahr nun preschte Piel vor – mit Lautstärke, Witz und Frechheit. Die Vorlage lieferte ihr dafür der plötzlich in Schwierigkeiten geratene Versuch des Landes, der Welfenfamilie die Marienburg abzukaufen. „Seit Neuestem weht in Niedersachsen ja wieder ein etwas muffiger royaler Wind“, sagt die Grünen-Vorsitzende und meinte, dieser hätte doch eigentlich mit der Ära Christian Wulff abgeflaut sein müssen. Dass das Land die Marienburg erwerben wolle, obwohl die Welfenfamilie uneinig ist, erinnere an „den Versuch, einer alten Dame über die Straße zu helfen, obwohl diese gar nicht will“. Es fehle in der Großen Koalition eine Bremse für den Ministerpräsidenten, der solche Geschäfte mitmache. Früher hätten die Grünen noch gesagt: „Stephan, mach mal halblang“. Piel malte das Bild einer Landesregierung, „die bei Cognac und Zigarre im Herrenzimmer sitzt und alles unter sich beschließt“. Mehrere Minister griff sie direkt an: Umweltminister Olaf Lies betreibe heimlich weiter Wirtschaftspolitik, wie man an seinem Ja zur verstärkten Salzeinleitung des Kaliwerks Giesen in die Innerste sehe. „Ein Vollbart macht noch keinen Grünen“. Finanzminister Reinhold Hilbers gebärde sich „wie der Mario Draghi Niedersachsens, wenn auch nicht im italienischen Chic“, und Innenminister Boris Pistorius lasse sich „von Möchtegerninnenminister Uwe Schünemann die schwärzesten Phantasien ins Polizeigesetz diktieren“.

Die FDP wurde in den vergangenen Monaten oft kritisiert, weil sie kein klares Profil als Oppositionspartei habe, sowohl striktes Sparen und Schuldenabbau fordere wie auch Mehrausgaben, etwa für Lehrer. In seiner Haushaltsrede arbeitete sich FDP-Fraktionschef Stefan Birkner an der CDU ab, der er vorwarf, „die selbstgefällige und ambitionslose sozialdemokratische Politik“ mitzutragen, die „uns noch teuer zu stehen kommen wird“. Die Regierung mache sich „Stück für Stück das Land zur Beute“, das Wirtschaftsministerium werde unnötig zur zweiten Staatskanzlei ausgebaut und das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten beschränke sich „auf das Vorlesen von Zeitungsmeldungen zum Brexit“, die Schuldentilgung komme nicht voran und Ministerpräsident Weil trete „das Erbe von Angela Merkel bei der Politikverweigerung“ an. Damit zeigte Birkner ein klares wirtschaftsliberales Profil, das auch zum unterlegenen CDU-Kandidaten Friedrich Merz passen könnte. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Christian Grascha ergänzte später, viele Risiken seien im Haushalt gar nicht berücksichtigt: die verfassungsrechtlich angefochtene Beamtenbesoldung und die Rettung der Nord/LB beispielsweise.


Lesen Sie auch:

Dafür wollen CDU und SPD im nächsten Jahr Geld ausgeben


Die AfD stand bisher im Ruf, in der Haushaltspolitik gar kein klares Konzept zu haben und sich auf Einzelthemen zu beschränken. In ihrer Rede wählte Fraktionschefin Dana Guth diesmal einige Schwerpunkte aus. So bleibe der Schuldenabbau ein leeres Versprechen, für Tierschutz fehle das nötige Geld und in der Bildungspolitik sei die Koalition „in ihrer ideologischen Uneinigkeit gefangen“: So werde die bewährte Förderschule zwar nicht abgeschafft, sie blute aber aus – und das, obwohl die Inklusion nach AfD-Interpretation nur empfohlen aber nicht verpflichtend vorgegeben sei durch eine internationale Konvention. Die anderen Parteien würden „die Gleichschaltung des Menschen“ bezwecken und „eine Doppelmoral“ zeigen. So empöre man sich über das geplante Lehrer-Meldeportal der AfD, schweige aber gleichzeitig zu einer vom Bundesfamilienministerium geförderten Broschüre für Kindergarten-Erzieherinnen, in denen als auffällige Merkmale für Kinder aus völkischen Elternhäuser das Tragen von Kleidern und langen Zöpfen bei Mädchen, eine ausgeprägte sportliche Fitness bei Jungen genannt werden.

Die SPD und die CDU fallen auch mit besonderen Reden zum Auftakt der Landtags-Haushaltswoche auf. So zitiert SPD-Fraktionschefin Johanne Modder klassisch die Leistungen der Koalition, geißelt die Forderungen der Opposition als unseriös und betont, dass eine Gehaltsaufbesserung für alle Lehrer auf mindestens A13 nicht gerecht wäre, wenn man die vorhandenen Grundschullehrer bei A12 belasse. Sie lässt dabei aber offen, ob sich am Einkommen der Pädagogen etwas tun wird. „Was ich damit andeuten will, ist: So einfach ist es eben doch wieder nicht!“ CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer trägt eine über weite Strecken sehr grundsätzlich und nachdenklich gehaltene Rede vor. Heute müssten viele immer schneller und lauter sein als andere, um überhaupt Gehör zu finden. Das Ergebnis sei eine „Leichtfüßigkeit und Beliebigkeit, mit der Positionen vertreten und aufgegeben, mit der Verhandlungspartner umworben und bei erster Gelegenheit wieder vor den Kopf gestoßen werden“. Das mache fassungslos, betont Toepffer. Ob er damit ausschließlich die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen auf Bundesebene meint oder auch Erfahrungen in Niedersachsen, lässt der CDU-Politiker offen. (kw)