Das TV-Duell der beiden Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten wurde gestern Abend im NDR ausgestrahlt. Die Redaktion des Politikjournals Rundblick hat die beiden Akteure und die Fragesteller beobachtet. Wir analysieren die Auftritte anhand von verschiedenen Kategorien.

Stephan Weil und Bernd Althusmann stellen sich den Fragen von NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz und von Moderatorin Christina von Saß. | Screenshot: NDR

Das ist jetzt die Zeit der staatsmännischen Pose

Gestik, Mimik und Auftreten: Beide im Anzug und mit blauer Krawatte, beide mit ruhiger Stimme, beide mit staatsmännischen Gesten: Es sind Nuancen die den Unterschied beim Auftreten der beiden Spitzenkandidaten Stephan Weil und Bernd Althusmann im TV-Duell machen. Der amtierende Ministerpräsident wirkt das ganze Duell hinweg ernst und konzentriert, während Althusmann auch mal ein Lächeln zeigt und die Gelegenheit ergreift, sich persönlich und nahbar zu inszenieren, etwa als er beim Thema Bildungssystem über seine Kinder redet. Von Anfang an zieht Weil das Tempo an, spricht insgesamt etwas lauter, schneller und wirkt angriffslustiger. Doch Althusmann läuft sich über die Zeit hinweg warm, wird lockerer, spricht immer mehr mit dem Publikum vor Ort. Fast scheint es so, als habe er sich dabei von seinem Konkurrenten Weil inspirieren lassen, der sich direkt bei der ersten Frage aus dem Publikum dem Zuschauer physisch zuwendet und direkt mit ihm spricht.


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Im ganzen Duell wird ein großer Wert auf die Nähe zum Wähler gelegt. Sei es mit einer betont offenen Körperhaltung und direkter Ansprache der Zuschauer im Studio, oder auch durch zahlreiche Verweise auf Gespräche mit Bürgern. Ob in Schulen, Pflegeeinrichtungen oder beim Straßenmagazin Asphalt, die beiden Spitzenkandidaten scheinen im Wahlkampf ständig mit ihrer potentiellen Wählerschaft in Kontakt gewesen zu sein. Wie überzeugend und glaubhaft derlei Betonungen beim Fernsehzuschauer ankommen, darüber ließe sich an dieser Stelle jedoch streiten.

Screenshot: NDR

Auffällig ist – vielleicht auch wegen der Bildauswahl seitens der Regie – dass sich Althusmann häufiger Notizen macht. Wenn eine Frage aus dem Publikum gestellt wird und er erst als Zweiter antworten muss – oder auch wenn Weil redet, greift er gerne zum Kugelschreiber. Das wohl beliebteste Stilmittel im TV-Duell, das auch jedes Mal mit entsprechender Gestik unterlegt wird: „Erstens, zweitens, drittens“. Jedes Problem, jedes Thema unterteilt nahezu mindestens einer der Spitzenpolitiker für die Zuschauer in kleine Häppchen. (als)


Althusmann attackiert die Ampel, Weil zeigt, wer Chef der Regierung ist

Wie gehen die Kandidaten miteinander um? Nach der doch etwas temperamentvolleren Auseinandersetzung im TV-Triell wirkte das Duell der Spitzenkandidaten geradezu gesetzt und ruhig. Das Format erlaubte wenig Attacke, Weil und Althusmann wurden streng eingehegt von den Fragen der Moderatoren, den Einspielern und den Impulsen aus dem Publikum. Allerdings war klar zu erkennen, wer Herausforderer und wer Amtsinhaber ist. Weil machte an einer Stelle mehr als deutlich, dass er der Ministerpräsident ist; nämlich als es um die zwischenzeitig abgesagte Ministerpräsidenten-Konferenz ging, zu der er wissend lächelnd sagen konnte: „Die findet statt.“ Wer im Raum sollte es besser wissen als er?


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Althusmann, der Herausforderer, versuchte gleich zu Beginn mehrmals, kleine Spitzen gegen den Ministerpräsidenten zu platzieren. Direkt sein erstes Statement war der Versuch eines Angriffs auf die Ampel-Regierung. „Seit Juli fordern wir von der Bundesregierung…“, setzte der CDU-Mann an, als es um Hilfen für krisengebeutelte Unternehmen ging. Kurz darauf, bei der Atom-Debatte, variierte er dies noch einmal: „Diese Politik der Bundesregierung, die von der Ampel gestützt wird, und damit auch vom Ministerpräsidenten…“ Da versuchte Althusmann dann erstmals, die Attacke auf den amtierenden Chef der Landesregierung umzuleiten.

Doch alsbald ließen diese Versuche nach. Das mag auch an den Themen gelegen haben, bei denen man der Bundesregierung schlicht keine Mitverantwortung zuschreiben konnte – und bei denen offensichtlich die Landesregierung selbst irgendwie beteiligt gewesen ist: Bildung und Digitalisierung beispielsweise. Hier äußerte Weil zweimal deutlich vernehmbare Kritik, allerdings nicht etwa am Digitalisierungsminister Althusmann, sondern an den Kommunen, die einfach zu zögerlich Fördergelder für die digitale Bildungsinfrastruktur abgerufen hätten.

Screenshot: NDR

Bei den Zahlen waren beide Kandidaten stark, zumindest nannten sie viele. Dabei fiel auf: Weil antwortete sehr häufig mit Aufzählungen: erstens, zweitens, drittens. Das ist gut, weil es dem Zuhörer beim strukturierten Verstehen der Antwort hilft. Es wirkt aber auch so, als hätte Weil die Antworten auf die erwartbaren Fragen auswendig gelernt, wie ein eifriger Abiturient. Althusmann entgegen präsentierte zwar auch viele Fakten, vor allem bei „seinen“ Themen (etwa Verkehr). Ansonsten aber überraschte er mit Erzählungen, er verpackte seine Antworten in Geschichten und persönliche Anekdoten. (nkw)


Weil: VW soll Abhängigkeit von China verringern

Wie steht es um die Inhalte? Eine wirtschaftspolitische Frage der NDR-Redakteurin Christina von Saß bezog sich auf Volkswagen. Droht nicht eine zu starke Abhängigkeit vom autoritär regierten China, gerade bei diesem Großkonzern? Stephan Weil antwortet, der beste Schutz gegen eine drohende Abhängigkeit sei es, „in anderen wichtigen Märkten besser und stärker zu werden“, denn im gleichen Maße einer Ausweitung der Märkte verringere sich die Abhängigkeit von einem einzelnen Marktteilnehmer. Althusmann widerspricht und erklärt zunächst, er habe den VW-Vorstand mehrfach schriftlich aufgefordert, „klar zu sagen, wie es sich mit den Menschenrechtsverhältnissen in China verhält“. Die Aussage von Weil verwundere ihn. „Bei einem Konzern, der 50 Prozent seiner Fahrzeuge nach China verkauft, kann man diesen Markt nicht mal eben zur Seite schieben.“

Im Streit um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken sagt Weil, das Atomkraftwerk Emsland in Lingen sei „für die Versorgungssicherheit von Niedersachsen nicht notwendig“ und könne abgeschaltet werden. Althusmann sieht es anders: Die drei noch bestehenden Atomkraftwerke in Deutschland würden zehn Millionen Haushalte versorgen, für eine Übergangszeit müssten sie weiter laufen.



Bei der Frage nach einem Landesprogramm für Menschen, die in der Energiekrise leiden, verweist Weil auf sein Modell eines Nachtragsetats von einer Milliarde Euro, der im Fall seines Wahlsieges im Landtag beschlossen werden solle. Die CDU habe in Gestalt des Finanzministers ablehnend darauf reagiert. Althusmann wirft Weil vor, die CDU vor Bekanntgabe seiner Pläne gar nicht einbezogen zu haben – obwohl doch beide noch gemeinsam regieren. Die Forderung an den Bund wegen eines Energiepreisdeckels habe er, Althusmann, schon vor drei Wochen vorgetragen – jetzt erst schwenke auch Weil darauf ein.

Althusmann klagt, die Kultusbehörden unter einem sozialdemokratischen Minister seien verantwortlich dafür, dass von 520 Millionen Euro für Digitalisierung in den Schulen nach drei Jahren erst die Hälfte abgerufen worden ist – das Antragsverfahren sei viel zu komplex. Weil widerspricht und meint, das liege allein am mangelnden Willen der Kommunen, das Antragsverfahren sei in Ordnung. Er ermuntere die Kommunen, hier beherzter zuzugreifen und etwa auch Leasing-Modelle für Tablets zu starten. (kw)


Keine Zeit für Sprüche? Ein bisschen doch wohl schon

Phrasendrescherei? Es hatte fast den Anschein, als hätten die beiden Kandidaten vor dem Duell neben vielen Fakten zu Niedersachsen auch das „#LTW22-Bingo“ studiert, das der Dienstagsausgabe des Rundblicks beigelegen hat. Plattitüden, hohle Phrasen oder platte Wahlkampfslogans waren im Verlauf des 75-minütigen Rededuells eher die Ausnahme.

Einmal ließ Stephan Weil sein Motto „Machen, was gemacht werden muss“ dann aber doch anklingen. Und auch Bernd Althusmann sprach an einer Stelle über die „Menschen, die dieses Land am Laufen halten“. Ansonsten gelang es sowohl dem Ministerpräsidenten als auch seinem Herausforderer in der Regel, sehr konkret auf die Fragen zu antworten und den Zuschauern möglichst viele Inhalte ihres Wahlkampfprogramms zu vermitteln.



Dabei griffen beide Kandidaten zu einem einfachen, aber äußerst effektiven Kunstgriff: der Aufzählung. Nach der Devise „aller guten Dinge sind drei“ ratterten die beiden schnell, aber auch klar zumeist ihre wichtigsten Anliegen herunter. Im Laufe des Duells ließ der Wirtschaftsminister etwas mehr den Bildungsbürger durchschimmern, wenn er etwa die neue EU-Pflanzenschutzverordnung als „Damoklesschwert“ bezeichnete oder die Schuldenbremse als „ultima ratio“.

Grundsätzlich schafften es aber beide, die Niedersachsen sehr allgemeinverständlich abzuholen. Dass sich Althusmann den „Turbo für die erneuerbaren Energien“ nicht verkneifen konnte oder Weil bei der „Attraktivierung des Lehrerinnenberufs“ davon sprach, dass man „Nicht nur Löcher stopfen, sondern auch positive Perspektiven schaffen muss“ dürften deswegen auch die meisten Zuschauer wohlwollend überhört haben. (cwl)