Eigentlich ging es nur um einen recht unspektakulären Routinevorgang: Der Präsident des Staatsgerichtshofs, Thomas Smollich, stellte am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtags den Einzeletat seines Gerichts für 2020 vor. Doch Smollich beschränkte sich nicht auf Zahlen und Ausgabentitel, er verknüpfte seinen Auftritt vor dem Landtagsgremium mit einem politischen Appell.

Im niedersächsischen Landtag habe es die Opposition schwer, ihre Kontrollrechte richtig einzusetzen, wenn ihr das Mittel einer Normenkontrollklage gegen Gesetze fehle, betonte Smollich. Er würde es daher befürworten, wenn sich die Koalition aus SPD und CDU bereit erklärte, die Hürden für eine verfassungsrechtliche Überprüfung abzusenken.


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Damit spielt Smollich auf Artikel 54 der Landesverfassung an. Dieser sieht vor, dass der Staatsgerichtshof über Zweifel der Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung entscheiden muss – allerdings nur auf Antrag mindestens eines Fünftels aller Landtagsabgeordneten. Das wären derzeit 28 Abgeordnete.

Tatsächlich kommen die Grünen und die FDP zusammen auf 23 Mandate. Sie könnten das Quorum nur erreichen, wenn auch die neun Abgeordneten der AfD auf ihrer Seite wären. Doch in der Praxis besteht zwischen AfD hier, Grünen und FDP dort ein tiefer Graben. Ein gemeinsames Vorgehen aller drei Oppositionsfraktionen scheint gegenwärtig höchst unwahrscheinlich zu sein.

Entgegenkommen der Regierung geht nicht weit genug

Nach der Landtagswahl hatten SPD-Landeschef Stephan Weil und der CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann eine „Stärkung der Oppositionsrechte im Parlament“ angekündigt – als eine der ersten Verabredungen bei Aufnahme ihrer Koalitionsgespräche. Das war vor zwei Jahren. Später war von einer förmlichen Verständigung von vier Fraktionen (SPD, CDU, Grüne und FDP) die Rede, in der die gegenseitige Unterstützung fixiert werden sollte.

Vor einem Jahr erklärten Vertreter mehrerer Fraktionen gegenüber dem Politikjournal Rundblick, dass diese Vereinbarung „kurz vor dem Abschluss“ stehe und nur noch wenige Details umstritten seien. Das stellt sich allerdings aus heutiger Sicht als zu optimistisch heraus. Denn während Grüne und FDP mit Unterstützung des Staatsgerichtshofspräsidenten und anderer Juristen dafür warben, das nötige Quorum des Artikel 54 der Landesverfassung zu senken (etwa auf ein Sechstel oder auf „mindestens zwei Fraktionen“), zeigen sich SPD und CDU hier nicht kompromissbereit.

Sie wollen es bei der bisherigen Regelung belassen und weigern sich, die Verfassung zu ändern. Lediglich in zwei anderen Punkten erklärten Sozial- und Christdemokraten, Grünen und FDP entgegenzukommen: Wenn eine der beiden Oppositionsparteien im Landtag Akteneinsicht haben möchte, liefern sie nötige Unterstützung für ein Quorum (die Verfassung verlangt auch hier ein Fünftel der Mandate). Das ist wiederholt geschehen. Ebenso haben SPD und CDU angeboten, einem von Grünen und FDP vorgetragenen Wunsch nach einem Untersuchungsausschuss nicht ablehnend zu begegnen. Ein solcher Fall ist bisher allerdings noch nicht eingetreten.

Neue Hoffnung bei Grünen und FDP

Bei Grünen und FDP keimt nun die Hoffnung, der neuerliche Vorstoß von Gerichtspräsident Smollich im Rechtsausschuss könne in der Koalition vielleicht doch noch einen Denkprozess in Gang setzen. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Helge Limburg sagte auf Rundblick-Anfrage: „Die Ausführungen von Thomas Smollich bestärken uns in der Ansicht, dass eine Anpassung der Verfassung notwendig ist. Es sollte in Zukunft reichen, wenn zwei Fraktionen mit einer Normenkontrollklage überprüfen lassen wollen, ob ein Gesetz mit der Landesverfassung vereinbar ist.“

Die Verfassung ist in ihrer bisherigen Festlegung veraltet, weil sie noch von einem Parlament mit drei oder vier Fraktionen ausgeht.

Sein Kollege von der FDP, der Parlamentarische Geschäftsführer Christian Grascha, pflichtet der Einschätzung ausdrücklich bei: „Die Verfassung ist in ihrer bisherigen Festlegung veraltet, weil sie noch von einem Parlament mit drei oder vier Fraktionen ausgeht. Heute haben wir es aber zunehmend mit einer Zersplitterung zu tun, mit mehr kleinen Fraktionen, die seltener als früher zu einer gemeinsamen Linie finden können. Daher ist es unbedingt nötig, die Oppositionsrechte ins Hier und Jetzt zu holen – und die Hürden für eine Normenkontrollklage abzusenken. Die Ursache dafür liegt in der Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland und auch in Niedersachsen.“

Grüne und FDP hätten gern das Landes-Polizeigesetz auf seine Vereinbarkeit mit der Landesverfassung überprüft. Sie werben daher bei SPD und CDU dafür, einzelne Abgeordnete mögen sich ihrer Klage dagegen anschließen und das nötige Quorum von 28 Stimmen ermöglichen. Das lehnt die Koalition strikt ab. Grüne und FDP wiederum weigern sich bisher, gemeinsam mit der – durchaus bereitwilligen – AfD gegen das Polizeigesetz zu klagen.