Der FDP-Landtagsabgeordnete Marco Genthe hat den Rechtsanwaltsberuf erlernt, er stammt aus der Familie eines Bestattungsunternehmens, das ihm zum Teil gehört. Wie die Corona-Krise den Umgang mit dem Tod und den Verlauf von Beerdigungen verändert hat, beleuchtet er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Genthe wirbt für die Rituale, die den Angehörigen den Abschied vom Gestorbenen erleichtern. Hier sei es in der Zeit der Pandemie zu vielen Enttäuschungen gekommen, sagt er.

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Rundblick: Herr Genthe, haben Sie ein anderes Verhältnis zum Tod, weil Sie in der Familie eines Bestattungsunternehmers aufgewachsen sind?

Genthe: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall habe ich als Jugendlicher schon meine Erlebnisse gehabt. Einmal hatte ich die Aufgabe, die Angehörigen am Wochenende zum Aufbahrungsraum zu führen und ihnen zu ermöglichen, die dort aufgebahrten Verstorbenen noch einmal zu sehen. Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, in der ich allein mit mehreren Leichen war. Alle habe ich mir genau angeschaut – und als ich das Gebäude verlassen hatte, konnte ich mich an kein Gesicht mehr erinnern, vermutlich wegen der vielen Eindrücke. Ich denke oft zurück an die Worte meines Vaters, der sagte: Diesen Beruf kannst Du nur machen, wenn Du, nachdem Du das Gebäude verlassen hast und auf der Straße jemanden triffst, der Dir einen Witz erzählt, über diesen Witz herzhaft lachen kannst. Man muss abschalten und Distanz halten können. An zu viel emotionaler Anteilnahme geht man wohl zugrunde.

Man muss abschalten und Distanz halten können. An zu viel emotionaler Anteilnahme geht man wohl zugrunde.

Rundblick: Klappt das immer?

Genthe: Nein, nicht immer. Manchmal fällt es sehr schwer, wenn ein Angehöriger in Tränen ausbricht und nicht mehr zu beruhigen ist – oder wenn Kinder sterben. Wir haben in unserem Beerdigungsinstitut auch keinen Kindersarg stehen. Wenn es passiert, bestellen wir einen, aber ich will ihn nicht ausstellen.

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Rundblick: Das Bestatterwesen ist bei Ihnen eine familiäre Prägung?

Genthe: Ja, das Unternehmen gibt es seit 1912. Nun führt meine Frau die Geschäfte, aber ich habe sie auch oft unterstützt. Mein Bruder, der vier Jahre jünger ist, arbeitete als Rettungsassistent. Es kam vor, dass wir uns in der Nacht auf der Straße getroffen haben – er hatte bei einem Unfall seine Arbeit beendet und ich habe meine begonnen.

Abschiednehmen braucht ein Ritual – aber wie dieses gestaltet wird, das kann sich ändern.

Rundblick: Wie hat sich der Umgang mit dem Tod in den vergangenen Jahren verändert?

Genthe: Es gibt mehrere Auffälligkeiten. Zum einen sind die Familien nicht mehr so nah beieinander wie früher. Die Grabpflege wird deshalb von vielen als Problem empfunden. Die Zahl der anonymen oder halb-anonymen Bestattungen, etwa auf einem Friedwald, ist viel größer geworden. Das finde ich aber auch nicht schlimm. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Angehörigen den Toten einfach nur entsorgen wollen. Die neue Vielfalt der Trauerfeiern, vom Einsatz freier Trauerredner über Musikwünsche, die nicht Orgelmusik sind, finde ich gut. Abschiednehmen braucht ein Ritual – aber wie dieses gestaltet wird, das kann sich ändern.

Rundblick: Hat die Corona-Zeit die Trauerfeiern verändert?

Genthe: Corona war auch hier ein Beschleuniger einer Entwicklung, würde ich sagen. Ich finde Trauerfeiern als Ritual wichtig. Dass man zusammenkommt und sieht, wie der Verstorbene körperlich in die Erde überführt wird und aus dem Kreis der Lebenden verschwindet, dass man hinterher zusammensitzt und über ihn redet, dass man vielleicht auch einen Schnaps trinkt und sogar lachen kann – das alles ist auch ein Signal an jeden, dass nach dem Tod das Leben weitergeht. Ich denke, das hilft den Menschen, den Tod des Nahestehenden besser zu verkraften und nicht daran zu verzweifeln. Diese Rituale müssen wir erhalten. In der Corona-Zeit war das gerade am Anfang so nicht möglich, Menschen konnten die Sterbenden nicht begleiten, wurden auf den Friedhöfen nicht zugelassen. Ich hatte Sargträger, die Angst hatten, sie könnten sich anstecken. Vieles wurde in jener Zeit auch übertrieben – auch in den Vorgaben der Verordnungen. Einige Menschen, die so von Trauerfeiern ausgeschlossen wurden, waren tief deprimiert und frustriert, viele haben das fast fatalistisch aufgenommen.

Allein die Kontrolle der ausgegebenen Medikamente über die Stationsapotheke hilft oft nicht, Manipulationen aufzudecken – wenn ein böswilliger Pfleger die Herzmedikamente gar nicht verabreicht oder Natriumchlorid, das in Massen verwendet wird, in die Venen spritzt.

Rundblick: Zu einem anderen Thema, das damit in Beziehung steht: Sie werben im Landtag dafür, eine „qualifizierte Leichenschau“ einzuführen. Nicht nur ein Arzt soll den Tod eines Menschen feststellen – sondern einen qualifizierten Leichenbeschauer hinzuziehen müssen. Was veranlasst Sie zu dieser Forderung?

Genthe: Oft genug habe ich es als Bestatter selbst erlebt: Ein Arzt wird zu einem Verstorbenen gerufen, die Polizei wartet schon – und der Mediziner stellt nach einer eiligen, oft nur oberflächlichen Begutachtung den Totenschein aus. Bremen hat bereits die „qualifizierte Leichenschau“ eingeführt. Es muss ein zweiter Arzt schauen und die Plausibilität prüfen: Ist der junge, sportliche Mann tatsächlich an Leberzirrhose gestorben? Ganz wichtig ist das auch in Krankenhäusern. Allein die Kontrolle der ausgegebenen Medikamente über die Stationsapotheke hilft oft nicht, Manipulationen aufzudecken – wenn ein böswilliger Pfleger die Herzmedikamente gar nicht verabreicht oder Natriumchlorid, das in Massen verwendet wird, in die Venen spritzt. Mir geht es zudem darum, die Gefahr möglicher Fehlbehandlungen möglichst frühzeitig zu vermeiden. In Bremen sagen die Ärzte, dass nach Einführung der qualifizierten Leichenschau, also des vier-Augen-Prinzips, die Behandlung in den Kliniken sorgfältiger geschieht als vorher. Diese Qualitätssicherung, oder wenn zum Beispiel dabei auffällt, dass bestimmte Therapien ungewünschte Wechselwirkungen haben, hilft auch den Lebenden.

Rundblick: Sie streiten schon lange für eine Rechtsänderung – bisher ohne Erfolg. Warum?

Genthe: Die Überzeugungsarbeit dauert manchmal länger, aber ich höre jetzt aus der SPD/CDU-Koalition doch Bereitschaft. Die Justizministerkonferenz, der Bund deutscher Kriminalbeamter, die Gesundheitsministerkonferenz und die Bundesärztekammer – alle wollen das schon seit Jahren. Wenn wir das vor Jahren schon gehabt hätten, wäre womöglich das Wirken des verurteilten Mörders Nils Högel, der als Krankenpfleger sein Unwesen trieb und Patienten tötete, viel früher aufgefallen.