Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) war sichtlich stolz an den Tagen nach dem jüngsten Christopher Street Day (CSD) in Hannover. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit hielt er am Sonnabend vor Pfingsten auf der queeren Kundgebung ein Grußwort und führte anschließend sogar gemeinsam mit Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) den Demonstrationszug vorneweg mit an. Anerkennend sagte Weil anschließend gegenüber Journalisten, der CSD sei eine Institution in der Landeshauptstadt und bringe inzwischen mehr Menschen auf die Straße als der Tag der Arbeit am 1. Mai, an dem traditionell die Gewerkschaften ihre Unterstützer mobilisieren.

Stephan Weil marschiert bei der Demo für Menschenrechte beim Christopher Street Day in Hannover ganz vorne mit. | Foto: Facebook/CSD Hannover

Doch der Stolz über das gelungene bunte Treiben auf dem Opernplatz wich an den Folgetagen rasch einer herben Ernüchterung. Im Anschluss an die Demonstration ist ein 17-jähriger Transmann am hannöverschen Hauptbahnhof angegriffen, verletzt und bestohlen worden. Berichte über weitere Angriffe folgten, und die Landesregierung ließ erklären, man sei sehr betroffen. Das Ereignis zeige, „dass das mit Toleranz noch nicht überall angekommen ist, dass es immer noch Hass und Vorbehalte gibt gegen Menschen, die anders leben, sich anders kleiden und ihre Freude haben wollen. Insofern ist das sehr bitter, dass der Tag so geendet hat, insbesondere für diese zwei Menschen“, sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen in der Landespressekonferenz.

Resolution wird im Ausschuss beraten

Den Ausdruck des Bedauerns und das Bekenntnis gegen Queerfeindlichkeit wollten die Regierungsfraktionen nun noch einmal parlamentarisch bestätigt wissen. Deshalb brachten sie in das Juni-Plenum des Landtags einen Entschließungsantrag ein, der einer Resolution gleichkommt – allerdings vom Landtag entgegen des rot-grünen Ansinnens auf Antrag von CDU und AfD nicht sofort beschlossen, sondern zur Beratung in den Sozialausschuss verwiesen wurde.

Besondere Aufmerksamkeit erregte dabei allerdings der frühere Caritas-Landessekretär Thomas Uhlen (CDU) mit seiner Rede zur rot-grünen Resolution gegen Queerfeindlichkeit nicht nur durch den gekonnten Einsatz des Glottisschlags, als er die „lieben Kolleg*innen“ begrüßte. Diese Anrede nutze er sogleich für einen historischen Brückenschlag zu der Sozialdemokratin Marie Juchacz, die 1919 als erste Frau in der Weimarer Nationalversammlung mit ihrer Begrüßung der Herren und Damen Heiterkeit ausgelöst hatte. Uhlen sagte: „Heiterkeit ist nicht nur bei geschlechtersensibler Sprache besser als Hass.“

Im Folgenden führte er aus, dass seine Fraktion bereit dazu sei, an „umsichtigen und konstruktiven Lösungen“ mitzuarbeiten, die er in eriner Stärkung des Sicherheitsapparates, nicht aber in einer neuen zivilgesellschaftlichen Anlaufstelle sehe. Eine Abfuhr erteilte er auch dem Versuch der AfD-Fraktion, „Communities gegeneinander auszuspielen“. Vanessa Behrendt (AfD) hatte zuvor ausgeführt, dass das größte Problem für die Sicherheit eine unkontrollierte Zuwanderung aus islamisch geprägten Kulturkreisen sei.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) führt den Demonstrationszug zum Christopher Street Day in Hannover gemeinsam mit Belit Onay (Grüne) an. | Foto: Facebook/CSD Hannover

Der besagte Landesaktionsplan wird derweil im Sozialministerium bereits in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Vereinen und Initiativen ausgearbeitet, kürzlich erst fand das erste Treffen dazu statt. Dennoch zeigte man sich genau bei diesen Vereinen nun verwundert darüber, dass es im Juni-Plenum nun doch nicht, wie zunächst erwartet, bereits einen flankierenden Entschließungsantrag gibt, der die Regierung aus dem Parlament heraus darin bestärkt, einen solchen Aktionsplan zu erstellen und dabei klare Forderungen formuliert. Stattdessen wird die Resolution, über die das Parlament am Donnerstag abgestimmen sollte, als zahnloser Tiger angesehen.

„Solidaritätsbekundungen und das symbolische Hissen von Regenbogenfahnen vor den Ministerien reichen nicht mehr aus. Wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit in diesem Land.“

Franziska Fahl

„Solidaritätsbekundungen und das symbolische Hissen von Regenbogenfahnen vor den Ministerien reichen nicht mehr aus. Wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit in diesem Land“, erklärte Franziska Fahl aus dem Vorstand des Queeren Netzwerks Niedersachsen (QNN). Doch in dem rot-grünen Entschließungsantrag, der auf nur eine Seite passt, findet man wenig Konkretes. Der Landtag bekennt sich darin dazu, „dass Queerfeindlichkeit weiterhin entschieden bekämpft werden muss“. Der einzige Appell an die Regierung steht im letzten Absatz, in dem der Landtag die Landesregierung auffordert „zu prüfen, wie Veranstaltende, Polizei und Staatsanwaltschaft noch besser dabei unterstützt werden können, Anfeindungen, Angriffe und Übergriffe auf zukünftigen Veranstaltungen zu verhindern.“

Symbolische Geste: Die Regenbogenflagge weht vor dem Landtag. | Foto: Kleinwächter

Bezugnehmend auf die Vorkommnisse rund um den CSD Hannover und einen Fall aus dem vergangenen Jahr, bei dem ein Teilnehmer des Münsteraner CSD ums Leben gekommen ist, stellen SPD und Grüne klar, „dass queere Personen in Deutschland nach wie vor Ziel von Anfeindungen bis hin zu gewaltsamen Angriffen sind und ihre Sicherheit immer wieder gefährdet ist.“

Schendel: „Queerfeindlichkeit ist kein Randphänomen“

Swantje Schendel, bei der Grünen-Landtagsfraktion für die Queerpolitik zuständig, erklärte vorab: „Die Angriffe auf queere Menschen beim CSD in Hannover haben einmal mehr deutlich gemacht, dass Queerfeindlichkeit kein Randphänomen ist. Mit der Resolution wollen wir uns solidarisch zeigen mit allen queeren Menschen in Niedersachsen.“ Um Akzeptanz und Toleranz zu erhöhen, brauche es jedoch mehr als Solidaritätsbekundungen, führte sie weiter aus. Deshalb wolle man zeitnah einen Landesaktionsplan zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auflegen.



Doch wie könnte so etwas aussehen? Marten Gäde, queerpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, führte bereits im Mai anlässlich des Aktionstages gegen Homo- und Transfeindlichkeit aus, dass man sich politisch dafür einsetze, „dass Straftaten gegen queere Menschen besser erfasst und damit statistisch nachvollziehbarer werden.“ Gesellschaftlich möchte er zudem zu Zivilcourage ermutigen. „Wir haben leider schon häufig genug erlebt, wie sich Diskriminierung hochschaukelt und in physischer Gewalt endet. Wer also eine homophobe Andeutung oder eine Beleidigung gegen Transmenschen erlebt, muss das nicht so stehen lassen.“

Auf die Zivilgesellschaft blickt man auch beim QNN. Allerdings denkt man dort an eine zivilgesellschaftliche Anlaufstelle, bei der sich queere Menschen, die von Gewalt betroffen sind, melden können. „Queerfeindlichkeit ist nicht nur ein Problem auf Großveranstaltungen wie den CSDs, sondern prägt den Alltag vieler queerer Personen“, erklärt QNN-Geschäftsführer Nico Kerski, und verweist auf ein „erschreckend hohes“ geschätztes Dunkelfeld bei den angezeigten Taten. Man gehe davon aus, dass 90 Prozent der Fälle nicht zur Anzeige gebracht würden. Das liegt wohl daran, dass für nicht wenige queere Menschen die Polizei noch immer nicht der beliebteste Ansprechpartner ist, an den man sich gerne wendet und dabei seine sehr persönliche Orientierung schildert.

Polizei hat bereits „Ansprechpersonen LSBTIQ“

Dabei gibt es seit einigen Jahren bereits explizite Ansprechpersonen für queere Menschen bei der niedersächsischen Polizei. In allen Polizeibehörden und in der Polizeiakademie Niedersachsen seien mindestens zwei „Ansprechpersonen LSBTIQ“ im Nebenamt beauftragt, teilte das Innenministerium auf Nachfrage mit. Darüber hinaus werde die Landeskoordination für dieses Themenfeld von Leon Dietrich hauptamtlich wahrgenommen.

Diese Stellen weiter zu stärken und über diese Seite auch weitere Polizisten und die Staatsanwaltschaft für die besonderen Belange von queeren Menschen zu sensibilisieren, ist ein Schritt, den sich vielleicht auch Rot-Grün für den Landesaktionsplan vorstellen könnte. Weil der Entschließungsantrag hier allerdings unpräzise bleibt, will die CDU-Landtagsfraktion trotz prinzipiellen Wohlwollens gegenüber des Anliegens der Resolution die Beratungen im zuständigen Ausschuss abwarten.

Womöglich ist der Sozialausschuss aber gar nicht der geeignete Ort für diese Debatte. Wie hieran deutlich wird, ist Queerpolitik längst nicht mehr nur ein Thema, um das man sich allein im Sozialministerium kümmert. Geht es um die Sicherheit von Leib und Leben steht nun auch Innenministerin Daniela Behrens (SPD) im Fokus. Sie wiederum kann nun auf die Vorarbeit der Innenministerkonferenz zurückgreifen.

In allen Polizeibehörden und in der Polizeiakademie Niedersachsen gibt es seit einigen Jahren LSBTIQ-Ansprechpersonen. | Foto: Facebook/Polizei Niedersachsen

Dieser wurde kürzlich der Abschlussbericht des „Arbeitskreises zur Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ vorgelegt. Gefordert wird von dem Expertengremium, das Dunkelfeld besser auszuleuchten, queerfeindliche Gewalt in der Polizeilichen Kriminalstatistik besser auszuweisen sowie Anti-Gewalt-Arbeit, den Austausch der Polizei mit queeren Organisationen und Opferberatungsstellen zu stärken.

Wie eine solche Stärkung am Ende auch durch die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel konkret aussehen könnte, wird der Landtag entscheiden müssen. Wenn er damit auf den Landesaktionsplan wartet, wird dabei allerdings in diesem Jahr voraussichtlich keine Entscheidung mehr getroffen. Nimmt man allerdings den Vorfall am Hauptbahnhof Hannover in den Blick, kann man sich auch fragen, ob es nicht vielleicht ein ganz allgemeines Sicherheitsproblem gibt, dessen man sich sofort annehmen sollte.