Wenn man mit dem Zug durchs Leinetal fährt, kann man es sehen. Schaut man kurz hinter der Samtgemeinde Freden (Kreis Hildesheim) in westlicher Richtung aus dem Fenster, sieht man zwei Betonrohre, die parallel den „Selterklippen“ genannten Hügel hinaufführen. Und schaut man noch genauer hin, sieht man am Fuß des Hügels ein weißes Haus. Darunter liegt das Pumpspeicherkraftwerk Erzhausen, das einzige Kraftwerk dieser Art in Norddeutschland. Strom wird hier auf eine ganz altertümliche Weise produziert: Indem man Wasser den Berg hinunterlaufen lässt.

Claudia Gellert und Jan Schillig betrachten das Pumpspeicherkraftwerk Erzhausen als Modell in der Eingangshalle. Foto: Christian

„Pumpspeicherkraftwerke nutzen eine der bewährtesten Technologien, um Strom zu erzeugen“, sagt Jan Schillig. Der gelernte Energieanlagenelektroniker ist Betriebsleiter des Kraftwerks, das der norwegische Energiekonzern Statkraft 2009 vom Konkurrenten E.on erworben hat. Für Schillig ist die Wasserkraft eine Technologie mit Zukunft, denn sie nutzt eine erneuerbare Energiequelle und ist komplett steuerbar. Dennoch haben es die Wasserkraftwerke auf dem Energiemarkt immer schwerer. In den Plänen für die Energiewende spielen sie kaum eine Rolle – und dementsprechend werden sie von der Politik wenig beachtet. Stattdessen setzt der Wandel auf dem Markt die Kraftwerke unter Druck.

Das Herzstück des Kraftwerks Erzhausen liegt zwei Stockwerke unter der Erde. In vier Paaren stehen hier Turbinen und Pumpen. Durch ihre Metallummantelung sehen sie aus wie riesige, halb vergrabene Schneckenhäuser. Zwei der vier Turbinen sind an diesem Morgen in Betrieb. Der Hallenboden vibriert, wenn das Wasser hindurchdonnert. 24,8 Kubikmeter Wasser strömen pro Sekunde hindurch und treiben den Generator an, der den Strom ins Hochspannungsnetz einleitet. Bis zu 55 Megawatt Strom kann eine Turbine erzeugen. „Bei Vollbetrieb können wir fünf Stunden lang 220 Megawatt Strom produzieren“, sagt Schillig. 220 Megawatt Strom verbraucht etwa eine Stadt wie Bonn am Tag.

Grafik: Rundblick/Piktochart

Das Wasser kommt aus dem Oberbecken auf dem Kamm der Selterklippen. 1,6 Millionen Kubikmeter Wasser werden dort gelagert. Sind etwa 90 Prozent davon durch die Druckrohre und die Turbine ins Unterbecken geflossen, kehrt sich der Prozess um. Dann sind die Pumpen an der Reihe. Sie drücken 18,2 Kubikmeter Wasser pro Sekunde wieder den Hügel hinauf. Der Generator zieht dafür je Pumpe 57 Megawatt Strom aus dem Netz. Ein Verlustgeschäft, könnte man sagen, wenn man nur auf die Strombilanz schaut. Aber die Vorzüge des Pumpspeicherkraftwerks liegen nicht in der Stromproduktion. Sind die Netze ausgelastet, weil Windräder, Kohlekraftwerke und andere Stromproduzenten viel einspeisen, wird das Pumpspeicherkraftwerk zum Konsumenten und nutzt die überschüssige Energie für das Befüllen des Oberbeckens. Wird dagegen mehr Strom von Verbrauchern nachgefragt, als die Produzenten liefern können, wandelt sich der Speicher zum Kraftwerk.

Blick auf die vier Turbinen, durch die das Wasser strömt. Foto: Christian

Durch die Veränderung des Strommarktes wird diese Funktion für das Kraftwerk allerdings immer mehr zum finanziellen Problem. „Früher gab es die sogenannten Bedarfs- und Preisspitzen zu Mittagszeiten. Hier konnten Pumpspeicherkraftwerke ihren Flexibilitätsvorteil ausspielen. Mit zunehmender Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien haben sich diese Preisspitzen deutlich reduziert – leider zum Nachteil der Pumpspeicher“, erklärt Claudia Gellert, zuständig für Public Affairs bei Statkraft. Um die Mittagsspitzen auszugleichen, warf das Pumpspeicherkraftwerk seine Produktion an und verdiente Geld. Nachts dagegen, wenn wenig Strom gebraucht wurde und der Preis dementsprechend niedrig war, füllte das Kraftwerk das Oberbecken auf. Doch durch die wachsende Menge der Stromproduzenten fällt der Erzeugerpreis immer weiter und das Pumpspeicherkraftwerk verdient immer weniger Geld mit seiner Produktion. Dazu kommt, dass die Politik das Kraftwerk wie einen normalen Stromverbraucher behandelt und Netzentgeltgebühren und Umlagen verlangt. „Aber Stromspeicher sind keine Endverbraucher und müssen daher von den Abgaben und Umlagen befreit werden“, fordert Gellert.


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In der Einrichtung sind Pumpspeicherkraftwerke teuer. Doch Gellert ist überzeugt, dass die bestehenden Pumpspeicherkraftwerke eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen. „Zurzeit wird viel an Stromspeichern geforscht und diese Forschung massiv subventioniert. Dabei wird häufig übersehen, dass wir bereits heute bestehende Pumpspeicherkraftwerke haben, die in der Lage sind, ohne Subventionen große Strommengen zu speichern und bei Bedarf wieder einzuspeisen.“ Und mit der steigenden Menge an Stromproduzenten durch Windkrafträder und Sonnenkollektoren wird die Fähigkeit des Pumpspeicherkraftwerks, Schwankungen im Stromangebot auszugleichen, immer wichtiger. Die Turbinen brauchen nur eine Minute, um ihre volle Leistung zu erreichen und 16 Sekunden, um von 55 Megawatt auf 1,5 Megawatt Strom zurückzufahren. Dazu kommt die sogenannte Schwarzstartfähigkeit. Gibt es einen großen Stromausfall, kann das Kraftwerk die Schleusen am Oberbecken öffnen und mit dem Wasser neuen Strom produzieren.

In der Warte bekommen die Mitarbeiter alle wichtigen Informationen, um das Kraftwerk zu steuern. Foto: Christian

Doch auch diese Fähigkeiten bringen dem Kraftwerk weniger Geld ein als zuvor. Die Anforderung zur Anpassung der Stromeinspeisung, den sogenannten Redispatch, passiert auf Anordnung der Netzbetreiber. „Die für Kraftwerke damit verbundenen Kosten werden oftmals nicht voll gedeckt“, sagt Gellert. Kraftwerks- und Netzbetreiber stünden deshalb derzeit in Gesprächen für eine Rahmenvereinbarung. „Wir erhoffen uns dadurch eine Verbesserung der Situation“, sagt Gellert. Dazu kommt, dass der finanzielle Ausgleich für einige Systemdienstleistungen, zu denen die Schwarzstartfähigkeit gehört, noch immer über bilaterale Verträge zwischen einzelnen Kraftwerken und dem Übertragungsnetzbetreiber geregelt werden. „Das schafft eine Intransparenz bei den Angeboten“, sagt Gellert. „Hier hoffen wir in Zukunft auf eine transparente Ausschreibung aller Systemdienstleistungsprodukte wünschen.“ Allerdings glaubt sie nicht daran, dass die Politik in naher Zukunft an dem Förderungs- und Abgabensystem etwas ändert. „Eine Trendwende ist für uns momentan nicht zu erkennen“, sagt sie. „Wir würden uns wünschen, dass die essentielle Bedeutung von Pumpspeicherkraftwerken zur Stabilisierung des Netzes und zur Integration der erneuerbaren Energien in der politischen Diskussion stärkere Beachtung findet.“

Von Isabel Christian