Schon vor zwei Wochen sickerte durch, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gegenüber den drei kommissarischen SPD-Chefs mitgeteilt haben soll, kein Interesse an einer Kandidatur für den Vorsitz der Bundespartei zu haben. Da die Botschaft aber ausdrücklich aus Weils Umfeld nicht bestätigt wurde, bleibt sie weiter in der Schwebe: Hat Weil nur seine momentane Stimmung ausgedrückt, trifft das nur für die Bewerbung zu, die bis Ende August eingereicht sein muss? Könnte er womöglich danach als Retter gerufen werden, wenn – was sich abzeichnet – sämtliche andere Kandidaten als zu schwach oder zu wenig integrationsfähig gelten?

Niedersächsische Kandidaten mit Potenzial – mehr oder weniger: Stephan Weil, Boris Pistorius und Lars Kliengbeil – Fotos: SPD Nds., Pistorius, Klingbeil

Die Anzeichen mehren sich, dass es in dieser Woche eine Vorklärung geben könnte – also eine Verständigung darauf, welcher Niedersachse für den Parteivorsitz (entweder als Einzelbewerber oder als Teil eines Tandems) antreten soll. Das Ziel des Landesvorsitzenden Stephan Weil ist es offenkundig, dass nur ein einziger Name aus Niedersachsen auf die Interessentenliste kommt – damit ein Wettstreit der Niedersachsen untereinander vermieden wird. Wie sieht es nun mit den Chancen der einzelnen Bewerber aus? Wir stellen diese kurz vor:

Stephan Weil: Nach seinen jüngsten Einlassungen am 5. August scheint es nahezu ausgeschlossen, dass der Ministerpräsident von sich aus bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 31. August seinen Hut in den Ring wirft. Er hat strikt verneint, kandidieren zu wollen. Dass er das gleichwohl nicht definitiv ausschließt, hat seinen Grund. Falls es so sein sollte, dass sich kein Interessent mit politischem Gewicht meldet, könnte die SPD-Führung am 2. September – einen Tag nach der für die SPD möglicherweise enttäuschenden sächsischen Landtagswahl – das Verfahren noch über den Haufen werfen und selbst einen Kandidaten nominieren.

In solch einem Fall wäre es ziemlich wahrscheinlich, dass die kommissarische SPD-Spitze (Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel) auf Weil zukommt – unter den verbliebenen führenden SPD-Politikern ist er gegenwärtig derjenige mit dem stärksten Rückhalt.

Boris Pistorius: Ende Juni hat der niedersächsische Innenminister erstmals in einem Interview angedeutet, für sich selbst eine Kandidatur als Parteichef zu erwägen. Bisher hat der 59-Jährige die Überlegung nicht konkretisiert, aber er ist auf Nachfragen davon auch nicht abgerückt. Laut Verfahrensregeln müsste Pistorius einen Landes- oder Bezirksverband der SPD hinter sich bringen oder aber fünf Unterbezirke, also Kreisverbände. Allerdings hätte seine Kandidatur ein hohes Risiko: Es ist schwer vorstellbar, dass der Bundesvorsitzende der SPD zugleich Minister in einem Landeskabinett ist, das von einem Parteifreund geführt wird. Ein Chef der Bundespartei kann schlecht als Landes-Innenminister der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten Stephan Weil unterworfen sein. Das wäre sonst eine ähnlich instabile Konstellation wie 1998 und 1999, als der SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine die höhere Machtstellung von Kanzler Gerhard Schröder anerkennen musste. Das ging damals nicht lange gut.

Falls sich Pistorius ernsthaft bewerben würde, müsste er bei erfolgreicher Wahl sein Amt als Innenminister in Hannover aufgeben, er könnte dann sogar einen Anspruch auf einen Platz im Bundeskabinett und auf das Amt des Vizekanzlers stellen. Allerdings erübrigte sich dies beim bisher nicht unwahrscheinlichen Ausstieg der SPD aus der Großen Koalition. Dann könnte ein Parteichef Pistorius Spitzenkandidat der SPD für die nächste Bundestagswahl werden. Auf jeden Fall wäre für ihn dann über kurz oder lang die Landespolitik in Hannover vorbei.

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Lars Klingbeil: Vor zwei Wochen, als über eine interne Absage Weils an eine Kandidatur berichtet wurde, kam der Name Lars Klingbeil als Niedersachsen-Kandidat für den SPD-Vorsitz ins Gespräch. Der bisherige SPD-Generalsekretär ist 41 Jahre alt, pflegt trotz seiner politischen Verortung bei den – rechten – Seeheimern einen guten Draht zu allen Gruppierungen der SPD und steht mit seiner Affinität zu neuen Medien für die Erneuerung der Partei – und für die Hinwendung zur jungen Generation. Das alles spricht für ihn. Der außerhalb der SPD noch geringe Bekanntheitsgrad und sein eher zurückhaltendes Auftreten würden ihn noch nicht zum Favoriten machen. Er wäre im Fall der Wahl noch keine überragende politische Autorität.

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Wenn sich die Führungsspitzen der niedersächsischen SPD demnächst verständigen sollten, ist auch denkbar, dass gleich mehrere Fragen auf einmal geklärt werden. Das eine ist, wer niedersächsischer Kandidat für den Bundesvorsitz der Partei werden soll. Davon zu trennen wäre womöglich die andere Frage, wer künftig als niedersächsischer SPD-Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl in Betracht käme. Wenn Pistorius tatsächlich einen Wechsel in die Bundespolitik anstrebt, aber zwingend den Parteivorsitz, könnte er wenigstens die Unterstützung für eine spätere Bundestagskandidatur sichern.

Tatsache ist: Sigmar Gabriel (Goslar) und Thomas Oppermann (Göttingen), die bisherigen Schwergewichte der Niedersachsen-SPD, sind entweder aus der aktiven Politik ausgeschieden – oder sie sitzen inzwischen in der zweiten Reihe. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist derzeit der Niedersachse im Bundeskabinett, er könnte daraus einen Anspruch auf die nächste Spitzenkandidatur ableiten. Doch unumschränkte Unterstützung dürfte Heil dabei in der Niedersachsen-SPD nicht finden. (kw)