Als wäre die Nervosität bei allen Beteiligten nicht auch so schon groß genug – jetzt auch noch das: Die Abiturprüfungen im Fach „Politik und Wirtschaft“ mussten am gestrigen Donnerstagmorgen überraschend kurz nach Beginn der Prüfungszeit abgebrochen werden. Grund dafür waren Informationen, wonach die Aufgabenstellungen im Vorfeld illegal verbreitet worden sein sollen – von einem „Leak“ war zunächst die Rede. Wie zuerst die „Goslarsche Zeitung“ berichtete, hat es einen Einbruch in das Schulzentrum „Goldene Aue“ in Goslar gegeben. Dabei wurden die Prüfungen aus dem Tresor des dortigen Christian-von-Dohm-Gymnasiums entwendet und anschließend auf dem Schulhof verteilt. Das niedersächsische Kultusministerium bestätigte auf Rundblick-Nachfrage diese Darstellung und teilte mit, die Information darüber etwa gegen halb sieben Uhr morgens erhalten zu haben.

In der Nacht sei der Einbruch zuerst einem Wachdienst aufgefallen, der zunächst die Polizei und anschließend den Schulhausmeister benachrichtigt habe. Das soll zwischen drei und vier Uhr gewesen sein. Der Schulleiter erhielt die Information über den Einbruch etwa um fünf Uhr morgens, die Logistikstelle des Kultusministeriums über eine Stunde später. Daraufhin sei das übliche Krisenmanagement im Haus in Gang gesetzt worden: Die Schulleitungen wurden noch vor Unterrichtsbeginn etwa um halb acht Uhr über den Vorgang informiert und darüber in Kenntnis gesetzt, dass die am Vortag bereitgestellten Aufgaben nicht verwendet werden dürfen.

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Den knapp 8000 betroffenen Prüflingen habe man daraufhin zwei Optionen zur Wahl gestellt: habe man daraufhin zwei Optionen zur Wahl gestellt: Entweder konnten sie noch am selben Tag mit kleiner zeitlicher Verzögerung ihre Prüfungsleistung erbringen. Dafür hat das Ministerium die Aufgabenstellung, die ursprünglich für die Nachprüfungen erarbeitet wurde, kurzfristig zur Verfügung gestellt. Ab 9:30 Uhr hätten die Schulen darauf zugreifen können. Alternativ konnten die angehenden Abiturienten auf einen späteren Prüfungstermin ausweichen, der auf den 8. Mai terminiert wurde. Für diese neue Nachprüfung muss die Prüfungskommission im Kultusministerium nun zunächst neue Aufgaben konzipieren, was mit einem enormen Arbeitsaufwand verbunden sei, wie eine Sprecherin mitteilte. Man habe sich für diese beiden Optionen entschieden, um Nachteile für die Schüler zu verhindern. Der Vorgang hatte für erhebliche Unruhe gesorgt, auch weil rasch Falschinformationen im Umlauf waren.

Kritik an diesem Vorgehen formuliert die CDU-Landtagsfraktion. Deren bildungspolitischer Sprecher, Christian Fühner, meint, das Kultusministerium habe bewiesen, nicht in der Lage zu sein, kurzfristig auf eine Krisensituation zu reagieren. Wenn Schülern erst innerhalb von Stunden neue Aufgaben vorgelegt würden und diese dann auch noch selbst entscheiden sollten, wie sie mit der Situation umgehen, zeuge das von einem „äußerst schlechten Krisenmanagement des Ministeriums.“

Hätte dieser Vorfall verhindert werden können? Ersten Beurteilungen zufolge ist das nicht der Fall. Dass die Abiturprüfungen am Vortag digital übermittelt, in den Schulen dann kopiert und anschließend sicher verwahrt werden, ist ein vollkommen übliches Verfahren. Sowohl die Datenübertragung als auch die Lagerung in der Schule unterliegen verhältnismäßig hohen Sicherheitsvorkehrungen. So werden die kopierten Aufgaben in einem Sicherheitsumschlag in einem Schul-eigenen Tresor verwahrt, der üblicherweise auch dafür genutzt wird, um beispielweise wichtige Dokumente wie Zeugnisse zu sichern.

Dass es die Einbrecher gezielt auf die Abiturprüfungen abgesehen hatten, wurde am Donnerstag zunächst in Frage gestellt – auch mit Verweis auf andere Einbrüche, die es zuletzt in Goslar gegeben hatte. Auch eine Verkürzung dieser Verwahrdauer bietet sich nicht an. Da die verschlüsselte Datenübertragung und auch das Vervielfältigen der Dokumente einiges an Zeit beansprucht, empfiehlt das Kultusministerium explizit, diese Tätigkeiten am Vortag zu erledigen. Das soll auch die Drucksituation für die Prüfer am Prüfungstag selbst verringern – denn das Abitur stellt schließlich nicht nur für die Schüler eine angespannte Situation dar.

Komplikationen bei der Kultus-Kommunikation

Einzig in der Kommunikation zwischen Kultusministerium und Schulen scheint es am Donnerstagmorgen zu Komplikationen gekommen zu sein. So zumindest stellt es der Landesschülerrat in einer sehr rasch formulierten Pressemitteilung dar. Noch vor zehn Uhr am Donnerstagvormittag teilte Louisa Charlotte Basner, Vorsitzende der landesweiten Schülervertretung, ihre Kritik an der schlechten Kommunikation des Kultusministeriums mit. Sie bemängelte insbesondere, dass an zahlreichen Schulen die Prüfungen erst nach mehr als zwanzig Minuten abgebrochen worden seien und dass das Herunterladen der neuen Aufgaben mancherorts zu lange gedauert habe.

Basner meint, die Situation habe bei den Prüflingen enormen Druck und Stress verursacht, weil sie mehr als anderthalb Stunden auf die neue Aufgabenstellung hätten warten müssen. Insbesondere Personen mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, namentlich ADHS, würden so benachteiligt. Das Kultusministerium räumt zwar ein, dass es an einzelnen Schulen zu einem Fehlstart gekommen sein mag. Das hätte dann aber daran gelegen, dass die Mail des Kultusministeriums verzögert zur Kenntnis genommen worden sei. Man habe die Schulen alle vor Beginn der Prüfungen informiert, teilt eine Sprecherin mit. In diesen Einzelfällen seien die ungültigen Prüfungen dann aber wenige Minuten nach dem Beginn wieder eingesammelt worden.

Immer wieder Pannen beim Abitur

Dass Inhalte von Abiturprüfungen vorab veröffentlicht werden, ist nicht zum ersten Mal passiert. In Niedersachsen kam es zuletzt 2018 zu einer solchen Situation. Damals wurde der Einbruch allerdings am Wochenende entdeckt, was mehr Vorlauf für eine Reaktion erlaubte. Im vorigen Jahr wurden in Sachsen-Anhalt die Aufgaben im Fach Geschichte vorab in Chatgruppen verbreitet. Die Prüfungen begannen deshalb mit Verzögerungen. Das zuständige Bildungsministerium erklärte anschließend, es handele sich nicht um eine Panne der Behörde, sondern um eine Straftat eines Einzelnen, der den Server illegal gehackt habe, um die Prüfung zu sabotieren.

Eine Panne technischer Natur gab es derweil in Nordrhein-Westfalen. Dort hatte man 2023 das Herunterladen der Abiturprüfungen vom Schulserver erstmals mit einer Zwei-Weg-Authentifizierung verschlüsselt – und bei dieser hakte es. Damals mussten die Prüfungen vom Mittwoch auf den Freitag verschoben werden. Menschliches Versagen sorgte in Hannover zuletzt vor zwölf Jahren zu einer sehr lokalen Abitur-Panne. Damals hatte ein Lehrer an einer Waldorfschule versäumt, eine Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur zu behandeln. Den Schülern wurde daraufhin erlaubt, Wochen später die Ersatzklausur zu schreiben.