Wenn es um Farbe und Tapetenkleister geht, ist Matthias Nolte in seinem Element. Zu Hause hat er viel selbst umgebaut. Auch in den Caritas-Werkstätten waren Malerarbeiten sein Ding. Als ihm wieder einmal ein Firmenwagen der „hanova Services“ auffiel, wusste der heute 29-Jährige, wo es beruflich hingehen sollte. Er notierte die Kontaktdaten und bat Ole Sens, seinen Coach bei den Caritas-Werkstätten Hannover: „Ruf da mal an.“

Bauhelfer Matthias Nolte (l.) mit seinem Kollegen Nico Piontek vor dem Dienstwagen von hanova Services | Foto: Beelte-Altwig

„Besser geht es gar nicht für Arbeitgeber“, kommentiert Jana Petereit. Sie ist Personalbetreuerin bei hanova, dem immobilienwirtschaftlichen Konzern der Landeshauptstadt Hannover. Als Tochtergesellschaft ergänzt „hanova Services“ das Angebot durch diverse Facilitymanagement-Dienstleistungen mit den Bereichen Energieservice, Handwerkerservice und Objektservice.

Das Bundesteilhabegesetz hat den Weg dafür frei gemacht, dass Matthias Nolte und „hanova Services“ zusammengefunden haben. Seit 2018 gibt es das „Budget für Arbeit“. Es ermöglicht Menschen mit Lernbehinderung oder psychischer Beeinträchtigung, die sonst in einer betreuten Werkstatt arbeiten würden, den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Arbeitgeber erhalten einen Zuschuss von bis zu 75 Prozent der Lohnkosten. Mit dem Bundesteilhabegesetz sind auch Jobs wie der von Ole Sens entstanden. Er vermittelt seit 2022 zwischen den Werkstatt-Beschäftigten und den Arbeitgebern, knüpft Kontakte, stellt Förderanträge und hält die Bürokratie von den Arbeitgebern fern. „Wir mussten nichts tun als eine Vorlage für einen Arbeitsvertrag einzureichen“, berichtet Jana Petereit. Der Vertrag wurde dann vom Kostenträger, der Region Hannover, geprüft. Alles Weitere übernahm Ole Sens.

Jana Petereit, Personalbetreuerin bei hanova Services | Foto: privat

Matthias Nolte und sein Kumpel Sebastian Hoseas waren die ersten Budgetnehmer, die bei hanova anfingen. „In kürzester Zeit hatten wir fünf neue Fachkräfte. Das findet man sonst auf dem Arbeitsmarkt nicht“, sagt Jana Petereit. Die Caritas kommt auf sie zu und schlägt geeignete Arbeitskräfte vor. Das sei für sie eine komfortablere Zusammenarbeit als selbst Zeitarbeitsfirmen oder Jobcenter zu kontaktieren. Die Budgetnehmer zeichnen sich gegenüber anderen Bewerbern durch Loyalität aus, ist Ole Sens überzeugt. Das ist eines seiner stärksten Argumente bei den Unternehmen. Selbstbewusst trägt Matthias Nolte die Firmenkleidung, wenn er seine ehemaligen Kollegen in der Werkstatt besucht. Der Zollstock mit dem Unternehmenslogo ragt aus seiner Hosentasche. Ole Sens zieht ihn ein bisschen damit auf: „Wenn es einen hanova-Schlafanzug gäbe, würdest du den auch tragen.“

„Matze will alles zu hundert Prozent richtig machen“, erzählt Nico Piontek, Maler und Lackierer, über seinen Bauhelfer und Kollegen Matthias Nolte. „Ich sage ihm immer: Denk nicht so viel nach.“ Piontek stellt sich schützend vor seine Kollegen, wenn andere im Team die Nase höher tragen. Am Anfang haben ihn manche noch angesprochen: „Du hast doch zwei Helfer, die kannst du auch mal zu mir schicken.“ Dann hat er ihnen erklärt, dass es nicht der Job der Helfer ist, die Drecksarbeit für alle zu erledigen. Jemanden wie Nico Piontek braucht es, damit die Inklusion klappt, da sind sich Ole Sens und Jana Petereit einig. Es braucht einen „Paten“ oder „Fürsprecher an der Basis“. Über das Budget für Arbeit ist es zusätzlich möglich, dass ein Jobcoach von der Werkstatt die Budgetnehmer im Unternehmen weiter betreut. Dann gibt es allerdings nicht mehr den vollen Lohnkostenzuschuss.

Nico Piontek und Matthias Nolte (r.) planen die Aufgaben für den Tag. | Foto: Beelte-Altwig

Bevor der Arbeitsvertrag unterzeichnet wird, machen die Budgetnehmer erst einmal ein Praktikum im Unternehmen. Kaum ein Arbeitnehmer ist sonst in Zeiten des Fachkräftemangels dazu bereit. Und bei Pflichtpraktika von Schülern stellt Jana Petereit fest, dass sich eher selten später ein Arbeitsvertrag daraus ergibt. Anders bei den Budgetnehmern: „Herr Nolte hat gut ins Team gepasst, wollte etwas lernen, hatte Lust auf den Job. Das gibt es heute nicht oft“, sagt die Personalerin. Wenn es mit dem Praktikum gut klappt, ist der nächste Schritt ein Außenarbeitsplatz. Dabei bleiben die Beschäftigten formal Mitarbeiter der Werkstätten. Sie haben ihren Arbeitsplatz bei einem Unternehmen, bekommen aber kein Gehalt, sondern Sozialleistungen plus ein Werkstatt-Entgelt von rund 250 Euro.

Aus Sicht der Personalerin war das wie eine vorgezogene Probezeit. Nachdem sie von den Kollegen positive Rückmeldungen bekommen hatte, bot sie Nolte einen unbefristeten Vertrag an. „Wir wollen, dass er sich mit hanova identifiziert und auch nach außen für das Unternehmen auftritt“, sagt Jana Petereit. Den Lohnkosten-Zuschuss aus dem Budget für Arbeit gibt es zunächst für zwei Jahre, mit der Option auf Verlängerung.

Ole Sens ist Gruppenleiter Außenarbeitsplätze bei den Caritas-Werkstätten Hannover. Er vermittelt zwischen Unternehmen und Budgetnehmern. | Foto: Beelte-Altwig

Was Matthias Nolte geschafft hat, ist noch nicht vielen Werkstatt-Beschäftigten gelungen. Nur 0,4 Prozent von ihnen nehmen in Niedersachsen das „Budget für Arbeit“ in Anspruch, neun Prozent sind auf Außenarbeitsplätzen tätig. Der Weg ist nicht immer einfach, berichtet Ole Sens. „Man muss dranbleiben und kämpfen.“ Viele Werkstatt-Beschäftigte möchten auch auf die sozialen Kontakte nicht verzichten: In der Werkstatt sind die Kollegen gleichzeitig Freunde. An einem regulären Arbeitsplatz ist das Verhältnis distanzierter. Es gibt Konkurrenz und manchmal ist der Ton rau.

Doch für Matthias Nolte hat es sich gelohnt, für einen sozialversicherungspflichtigen Job zu kämpfen. „Ich bin happy, dass ich jetzt meine Miete selber bezahlen kann“, sagt er. Auch wenn es rechnerisch keinen riesigen Unterschied macht: Das Gefühl ist viel besser als früher, als er arbeitete und das Geld trotzdem vom Amt kam. Nolte fordert Respekt für seine früheren Kollegen: „Viele wissen gar nicht, wie viel die Werkstätten leisten. Aber der Lohn erniedrigt die Leute.“ Seine nächsten Ziele hat Matthias Nolte schon im Blick: Nach der Probezeit will er sich an den Führerschein wagen. Und vielleicht klappt es ja sogar mit einer Ausbildung. Bei der Handwerkskammer hat er schon nachgefragt, ob das für Menschen mit Lernbehinderung möglich ist. Ole Sens bremst ihn: „Komm erstmal zur Ruhe. Eines nach dem anderen.“