Der Unmut der Landwirte ist derzeit deutlich auf der Straße zu erkennen. Vielerorts sind die empörten Bauern zuletzt wieder mit ihren Traktoren vorgefahren, um ihre Unzufriedenheit mit den Haushaltsplänen der Bundesregierung kundzutun. Die Vehemenz, mit der sie hier auftreten, mag bei dem ein oder anderen Städter Unverständnis auslösen.

Allein aus Niedersachsen sind mehr als 2000 Landwirte mit Bussen, Autos oder im Zug sowie weitere 400 Treckerfahrer nach Berlin gekommen, um gegen Agrarkürzungen zu protestieren. | Foto: Landvolk

Berücksichtigt werden muss bei der Bewertung allerdings zweierlei. Zum einen bangen die von den Steuererhöhungen betroffenen Landwirte um ihre berufliche Existenz, die in dieser Branche noch viel stärker als in anderen Wirtschaftszweigen mit der persönlichen Existenz verbunden ist. Zum anderen trifft diese Entscheidung der Regierungsspitzen gerade eine Berufsgruppe, die sich ohnehin Jahr für Jahr stärker an den Rand gedrängt, missachtet und ausgeliefert fühlt. Grund dafür, so hört man es allenthalben, sind weniger die großen Herausforderungen, vor denen die gesamte Gesellschaft steht – Klimawandel, Energiekostensteigerungen, Fachkräftemangel.

Was die Nerven der Landwirte und ihrer Familien blank daliegen lässt, ist das Gefühl, dass die Politik ohne Plan agiert und wenn doch, dann vielleicht in der Absicht, diesen Wirtschaftszweig langsam ausbluten zu lassen. Dass in diesem Jahr die Borchert-Kommission das Handtuch geworfen hat, weil die Experten selbst nicht mehr daran glauben, dass sich die Bundesregierung auf den Vorschlag zum ganzheitlichen Umbau der Nutztierhaltung einlassen wird, spricht Bände. Zwar bleibt es auch im neuen Jahr eine wichtige Aufgabe der Politik auf Landes- und Bundesebene, den Wandel im Nutztiersektor zu gestalten. Langfristig steht derzeit aber eine noch drängendere Aufgabe ins Haus, um die man sich nun mit Nachdruck kümmern muss: die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP).

Die GAP zählt zu den ältesten Politikfeldern der EU und macht mit knapp 40 Prozent des Haushalts den zweitgrößten Posten im EU-Budgetplan aus. In der aktuellen Förderperiode von 2023 bis 2027 fließen planmäßig über 32 Milliarden Euro nach Deutschland. Niedersachsen empfängt im Verbund mit Hamburg und Bremen den zweitgrößten Anteil davon, am meisten profitiert jedoch Bayern. Im Ursprung sollte die GAP die Landwirte der Mitgliedstaaten vom internationalen Preisdruck abschirmen und ihnen so die Möglichkeit geben, sich stark zu entwickeln.



In den 1990er Jahren wurden Preisgarantien, die diese Sicherheit bewerkstelligen sollten, abgebaut. An ihre Stelle traten Direktzahlungen sowie bald die sogenannte zweite Säule, aus der noch heute Fördergelder zur Entwicklung der ländlichen Räume kommen. Die EU wuchs, die Ansprüche ebenso, und so entstand bei der jüngsten Überarbeitung der EU-Agrarpolitik ein Verwaltungsmonstrum, das inzwischen von so ziemlich allen Seiten als zu kompliziert bewertet wird. „Wer im Würfel denken kann, ist klar im Vorteil“, sagte Landvolk-Präsident Holger Hennies kürzlich zur Veranschaulichung der dreidimensionalen Architektur der aktuellen GAP. Damit liegt er auf einer Linie mit Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne), die im September bereits sagte: „Es kann nicht sein, dass man als Betrieb einen Berater beauftragen muss, um die Förderanträge richtig auszufüllen.“

Das Zeitfenster für eine Reform der europäischen Agrarpolitik ist nicht allzu groß. Wenn das Regelwerk ab 2028 gelten soll, muss wohl bis 2025 klar sein, wohin die Reise gehen soll. Deshalb sollten sich die Akteure in Niedersachsen und der Bundesrepublik bereits im Jahr 2024 zügig an einen Tisch setzen, um nach Möglichkeit einen gemeinsamen Kurs abzustecken. Bei der Landvolk-Mitgliederversammlung in diesem Jahr reichte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger den Bauern bereits die Hand: In zehn Prozent der Inhalte werde man zwar nie einig sein, aber in 90 Prozent eben schon, sagte er. Dazu zählt in jedem Fall, dass die GAP-Formulare deutlich unkomplizierter werden sollen.



Einig ist man sich ebenso, dass die Landwirte für das, was sie für die Gesellschaft leisten, auch angemessen bezahlt werden müssen. Zum Leistungskatalog der Landwirte der Zukunft gehört dabei aber nicht mehr nur die Lebensmittelproduktion, sondern verstärkt auch der Schutz der Landschaft und die Förderung von Biodiversität. Die EU-Agrarpolitik wird diesen Kurs voraussichtlich fortsetzen. Welche Maßnahmen man künftig fordern und fördern will, muss nun klug bedacht werden. Grundlage dieser Beratung muss eine klare Vision davon sein, wie europäische Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten aussehen soll. Ein solches Leitbild, das die EU-Mitglieder nun zügig entwickeln sollten, muss dann auch Richtschnur für die Agrarpolitik der Zukunft sein, auf die sich die Landwirte verlassen können.