Marco Vorwerk steht gerade am Hafen von Rotterdam und schaut auf das Wasser – einer der wenigen, ruhigen Momente eines anstrengenden Tages. Vielen ist Vorwerks Job inzwischen zu anstrengend, deshalb ist der 21-Jährige auf dem Arbeitsmarkt gerade äußerst gefragt. Er ist Berufskraftfahrer und arbeitet bei der Spedition Weigand in Sittensen, wo er auch seine Ausbildung absolviert hat.

Nachwuchs dringend gesucht: Bis zu 45.000 Fahrer verliert das Gewerbe pro Jahr – Foto: m.mphoto

Die Ausbildung zum Berufskraftfahrer gibt es seit 2009. Dennoch fehlt es der Branche hinten und vorne an Fachkräften. Jedes Jahr schließen bundesweit 3000 Berufskraftfahrer ihre Ausbildung ab, hinzu kommen etwa 15.000 Quereinsteiger. Gleichzeitig gehen dem Gewerbe aber jährlich 30.000 bis 45.000 Fahrer verloren. In den kommenden Jahren ist keine Änderung in Sicht. Nur 2,5 Prozent der Fahrer sind wie Vorwerk derzeit unter 25 Jahre alt, ein Viertel ist schon über 55. „Die Pyramide steht auf dem Kopf“, stellt Uwe Garbe besorgt fest. Er ist Geschäftsführer beim Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) und zuständig für den Bereich Spedition und Logistik.

Branche arbeitet gegen das Imageproblem an

Jeden Tag Stress, jeden Tag Staus und unter der Woche fernab von zuhause – wer will das heute noch machen? Für Marco Vorwerk war es schon von klein auf der Traumberuf. Sein Großvater war Berufskraftfahrer, sein Vater auch. Letzterer hatte noch versucht, seinem Sohn den Berufswunsch auszureden. „Komm zur Vernunft“, sagte er damals zu ihm. Doch am Ende kam der Sohn nicht zur Vernunft und hat immer noch Spaß an seinem Job. „Mich hat immer die Verantwortung fasziniert, es wird einem etwas zugetraut“, sagt Vorwerk, der die Vorteile der Freiheit im Berufsalltag zu schätzen weiß. „Man wird jeden Tag mit Situationen konfrontiert, die man vorher noch nicht erlebt hat und auf die man reagieren muss.“

Auf der anderen Seite sieht er auch das Imageproblem der Branche. Man werde regelmäßig angepöbelt. „Die Fahrer werden in der Öffentlichkeit häufig zu negativ dargestellt. Es ist immer einfach, zuerst mit dem Finger auf den Fahrer zu zeigen. Dabei werden der Druck und der Stress, unter dem viele Fahrer auch stehen, außer Acht gelassen.“

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Stefan Weigand braucht dringend Berufskraftfahrer und arbeitet deshalb gegen das Imageproblem an. „Uns wurde bereits vor Jahren klar, dass wir etwas für die Fahrer tun müssen“, sagt der Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition. Im vergangenen Jahr erhielt das Unternehmen für sein Fortbildungs- und Unternehmenskonzept den niedersächsischen Wirtschaftspreis. Zum Beispiel gibt es als Mehrwert für die Fahrer die Karte einer Tankstellenkette, auf deren Autohöfen sie dann mit der Karte duschen und essen können.

Den Speditionen fehlen inzwischen auch Fahrer, weil sie sie an einen Wettbewerber verlieren, an den die Branche vor einigen Jahren noch gar nicht richtig gedacht hatte: den Nahverkehr. „Das haben wir ein bisschen unterschätzt. Dort gibt es natürlich auch Schwierigkeiten, Fahrer zu finden“, sagt Weigand. „Dass der Engpass beim Nahverkehr so groß ist, war für uns neu.“ Auch GVN-Vertreter Uwe Garbe versteht, dass die Stellen bei Nahverkehrsbetrieben für viele Fahrer attraktiv sind. Schließlich könne man dort auch unter der Woche abends zuhause sein.

Jeder will morgens um 08 Uhr sein Paket haben, aber wenn es um Parkplätze für die Fahrer gehe, gilt das Sankt-Florians-Prinzip.

An dem Druck, unter dem die Fahrer im Fernverkehr stehen, ist die Politik teilweise nicht unschuldig. „Die Politik schert sich relativ wenig um die Situation der Fahrer“, denkt Marco Vorwerk. Da sei zum Beispiel nach wie vor das Parkplatzproblem. Inzwischen seien Parkplätze teilweise schon um 15 oder 16 Uhr nachmittags belegt. Das ärgert auch Stefan Weigand. „Wir wollen alles im Regal haben aber wir wollen es am besten ohne Lastwagen – das funktioniert nicht.“ Wenn es um einen Autohof mit Parkplätzen für Lastwagen geht, dann gebe es immer schnell Anwohnerproteste. „Not In My Back Yard – Nicht in meinem Hinterhof“, nennt das Uwe Garbe. Jeder wolle morgens um 08 Uhr sein Paket haben, aber wenn es um Parkplätze für die Fahrer gehe, gelte das Sankt-Florians-Prinzip.

„Die Infrastruktur ist ein Riesenproblem“

Ein weiterer Stressfaktor der Fahrer seien die vielen Staus auf den Autobahnen. „Die Infrastruktur ist ein Riesenproblem“, meint Weigand. Positiv sei, dass viele Baustellen auch zeigten, dass in die Infrastruktur investiert werden. Auf der anderen Seite dauere die Bauzeit in Deutschland aber viel zu lange. Die Nachbarn in den Niederlanden seien deutlich schneller. Sein Fahrer Marco Vorwerk wünscht sich für einen fairen Wettbewerb auf der Straße mehr Kontrollen – gerade wenn es um den Zustand der Fahrzeuge geht. Das hake natürlich an zu wenig Personal bei der Polizei. Auch der GVN wünscht sich mehr Kontrollen auf der Straße. Die Frage ist dabei allerdings auch, wer kontrolliert wird. Ist es für die Beamten auf der Straße häufig vielleicht einfacher, einen deutschen Lastwagen mit deutschem Fahrer und deutschen Papieren zu prüfen als ein Fahrzeug, das zum Beispiel aus Bulgarien oder Rumänien kommt?

Der aktuelle Fachkräftemangel könnte sich für die Fahrer weiter positiv auswirken und zu einem Wettbewerb nach oben führen. Die Branche prosperiert, die Löhne der Fahrer gehen nach oben, heißt es beim GVN. Und auch Vorwerk meint: „Viele Firmen merken gerade, dass billig nicht immer gut ist. Das beginnt schon mit den sprachlichen Fähigkeiten der Fahrer. Wenn ein Fahrer kein Englisch und nur seine Heimatsprache spricht, merken auch Kunden schnell, dass das so nicht funktionieren kann.“ Eine solide Aus- und Weiterbildung sowie angemessene Löhne anzubieten wird für die Unter nehmen dadurch immer wichtiger.

Der Job wird allerdings weiter anstrengend bleiben. „Die negativen Aspekte sind da und werden sich nicht ändern“, meint Vorwerk. Es seien lange Tage, die an die Substanz gingen. Dennoch überwiegt für ihn das Positive. „Es gibt Menschen, die machen das mit Herzblut“, sagt er. Marco Vorwerk ist einer von ihnen. (MB.)