Während die Umweltverbände scharfe Kritik an der Art und Weise üben, wie die neue Landesregierung die Ausweisung von Natura-2000-Schutzgebieten steuern will, kommt nun eine dringende Mahnung von der Bundesregierung. Es drohe ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, deshalb sollten sich jene Länder, die noch nicht geliefert haben, nun beeilen. „Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund nachdrücklich bitten, die Versäumnisse dringend abzustellen und Ihre Zusagen bezüglich der Umsetzungsfristen einzuhalten“, schreibt Ministerialdirektorin Elsa Nickel vom Bundesumweltministerium an die obersten Naturschutzbehörden der Bundesländer – also in diesem Fall an das niedersächsische Umweltministerium. Dieses Schreiben liegt dem Politikjournal Rundblick vor. Niedersachsen ist eines der Länder, in denen bisher erst weniger als die Hälfte die Natura-2000-Gebiete festgelegt sind. Die Frist zur Erklärung gegenüber der EU endet definitiv Ende 2018.

Mehr als die Hälfte in Privatbesitz

Es geht um den Schutzraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, erste Vorgaben der EU bestehen schon seit den neunziger Jahren. Die früheren Landesregierungen, vor allem unter CDU/FDP-Führung, hatten die Zuständigkeit auf die Landkreise verlagert und auf Schutzgebietsausweisungen verzichtet. Nach 2013 war Rot-Grün bei dem Versuch einer Beschleunigung nicht sonderlich erfolgreich. Der Vorwurf wurde laut, die Landkreise könnten nach der rot-grünen Vorgabe weit über die Auflagen hinausgehen, die von der EU verlangt werden. Das trifft vor allem die Wälder, die zu 11,4 Prozent unter Schutz gestellt werden sollen. Mehr als die Hälfte dieser Flächen gehört privaten Eigentümern oder Körperschaften. Die neue SPD/CDU-Koalition lässt den rot-grünen Erlass nun zwar unverändert, hat aber in einem Begleitschreiben an die Landkreise und in einem „Leitfaden“ Handlungsempfehlungen formuliert, die ihrerseits Diskussionen auslösen. Zwar sind diese Hinweise keine Anordnungen, sondern rechtlich unverbindliche Ratschläge, doch Naturschutzverbände sehen darin sogar ein Aufweichen der EU-Vorgaben, der BUND spricht sogar zugespitzt von „einer Anleitung zum Rechtsbruch“.

EU geht gegen Portugal vor

Angesichts dieser Rügen breitet sich bei den Kommunen die Angst aus, das Störmanöver von Waldbesitzern auf der einen und unzufriedenen Umweltverbänden auf der anderen Seite könne den Fortschritt der nötigen Unterschutzstellungen behindern. Aus dem wenige Tage alten Schreiben des Bundesumweltministeriums an die Landesbehörden geht hervor, dass die EU gegen Portugal, die bereits eine Frist bei den Natura-Gebieten versäumt hat, mit voller Härte vorgeht – das Land wird vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Nun dürfe die Debatte über den neuen rot-schwarzen Plan, auch für Landschaftsschutzgebiete künftig einen Erschwernisausgleich zahlen zu wollen, die Planungen in Niedersachsen nicht verzögern, mahnt das Umweltministerium in Hannover in einem Kommentar zum Schreiben des Bundesministeriums gegenüber den Kommunen.

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Derweil wird Kritik laut an dem Schreiben, das die Staatssekretäre Frank Doods (Umwelt) und Rainer Beckedorf (Landwirtschaft) an die Landkreise und kreisfreien Städte geschickt haben. Darin gibt es mehrere Hinweise, dass der alte rot-grüne Erlass eben doch nicht so rabiat angewandt werden soll, wie es einige Naturschutzbehörden der Landkreise in Einzelfällen vermutlich getan haben. Sollen auch Wälder einbezogen werden, in denen bisher noch keine schützenwerten Arten leben? Dies solle „in der Regel nicht ohne Einverständnis des Eigentümers“ möglich sein, schreiben Doods und Beckedorf. Wie viele der großen, alten Bäume sollen stehen bleiben müssen? Von „mindestens sechs oder drei“, je nach Bedeutung des geschützten Waldes ist im Erlass die Rede, einzelne Kreise hatten aber zehn Stück gefordert. Dazu meinen die Staatssekretäre, eine rein zahlenmäßige Festlegung sei abzulehnen. „Unverhältnismäßig“ ist laut Doods und Beckedorf auch die Forderung einiger Kreise, das abgestorbene Holz vollständig im Wald zu belassen (im Erlass sind zwei bis drei Stück je Hektar vorgegeben). Auch das strikte Verbot der Anpflanzung untypischer Baumarten (zehn Prozent sind im Erlass erlaubt) und der generelle Mindestabstand der Wege im Wald bei 40 Metern wird von den Staatssekretären kritisiert – auch hier soll es Kreise geben, die derart strenge Auflagen verhängen wollen. Sie bekommen nun einen Wink von der Landesregierung.

Totholz muss bleiben

Der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu), Holger Buschmann, schlägt sich unterdessen auf die Seite jener Landkreise, die Auflagen besonders streng formulieren. „Es geht nicht darum, den Zustand zu erhalten – sondern darum, ihn zu verbessern“, betont Buschmann im Interview mit dem Politikjournal Rundblick. Besonders wichtig sei es, soviel totes Holz wie möglich in den Wäldern zu belassen. „Viele Käferarten können sich nur entwickeln, wenn genug davon vorhanden ist.“ Buschmann hat allerdings Zweifel, dass die niedersächsischen Landkreise wie gefordert bis Jahresende ihre Arbeit abgeschlossen haben werden – samt Beschlussfassung in den Kreistagen. 153 Verfahren zur Unterschutzstellung sind landesweit schon abgeschlossen, 232 noch nicht. Andere Länder, etwa Baden-Württemberg, sind mit ihren Planungen bereits viel weiter.