Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Niedersachsen hat jüngst gefordert, alle Polizisten mit „Tasern“ auszustatten, den Distanz-Elektroimpulsgeräten. Diese „Zwischenlösung“ sei nötig, da sonst nach dem Einsatz von Schlagstöcken nur noch die Schusswaffe erlaubt sei. Die Innenministerin lehnte den Vorstoß ab, sie will diese Geräte weiterhin nur für Sondereinsatzkommandos vorsehen. Welche zusätzlichen Waffen benötigen die Ordnungskräfte? Darüber diskutiert die Rundblick-Redaktion in einem Pro und Contra.

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CONTRA: Taser sind gefährliche Waffen, die nicht unterschätzt werden sollten. Sinnvoller, als das Waffenarsenal zu erweitern, wäre ein gezieltes Training für riskante Situationen, meint Anne Beelte-Altwig.

Skrupel sind etwas Ehrenwertes. Wenn Polizisten das eigene Handeln hinterfragen, zeigen sie sich als Demokraten in Uniform. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte Patrick Seegers, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), es mache „immer etwas mit unseren Polizisten, wenn sie mit einer Schusswaffe auf Personen zielen müssen.“

Für Seegers ist das eine Begründung dafür, den Einsatz von Tasern, von Fachleuten Distanz-Elektroimpulsgeräte (DEIG) genannt, für normale Streifenpolizisten zu fordern. Bisher stehen sie in Niedersachsen nur dem Spezialeinsatzkommando zur Verfügung, das regelmäßig mit Situationen konfrontiert ist, in denen eine Gefahr für Leib und Leben besteht.

Wer weniger Skrupel hat, mit einem Taser auf einen Menschen zu zielen als mit einer Schusswaffe, dem sei hier ein wenig Lektüre empfohlen. So hat die Nachrichtenagentur Reuters in einer akribischen Recherche in den USA 1081 Todesfälle bis 2018 gezählt, die im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen stehen. Die „Tageszeitung“ kommt auf neun Todesfälle in Deutschland, seit immer mehr Bundesländer den Einsatz von Tasern in der normalen Polizeiarbeit gestatten. Gerade Anfang Januar starb in Nordrhein-Westfalen ein Geflüchteter. Nachdem er in seiner Unterkunft ausgerastet war, hatte die Polizei ihn zweimal mit einem DEIG beschossen. Zwei Monate zuvor starb ein Bordellkunde in Köln, nachdem er unter Kokaineinfluss randaliert hatte und mit einem Taser zur Räson gebracht wurde. Vor diesem Hintergrund wirkt die Aussage von Seegers, der Einsatz habe sich in anderen Bundesländern „bewährt“, reichlich zynisch.

Diese beiden aktuellen Fälle illustrieren, in welchen Situationen der Einsatz von DEIG besonders gefährlich ist: Bei Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand kann ein Elektroschock ein so genanntes „erregtes Delirium“ auslösen, das auf den Herzschlag, die Atmung und den Säuregehalt des Blutes wirkt und im schlimmsten Fall tödlich ist. Auch in Verbindung mit Drogen- oder Medikamentenkonsum kann ein Taser-Schuss lebensgefährlich sein. Das gleiche gilt für zahlreiche Vorerkrankungen und eine – vielleicht noch nicht sichtbare – Schwangerschaft. Niemals sollten Polizisten diese möglichen Folgen unterschätzen. Den Taser für ein vergleichsweise harmloses Einsatzmittel zu halten, kann sich als fataler Irrtum erweisen.

Mehrere Recherchen zeigen, dass unter den von der Polizei getöteten Menschen in Deutschland auffällig viele psychisch Kranke oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sind. Die Zahlen schwanken zwischen einem Drittel und mehr als der Hälfte. Diese Menschen werden kaum sicherer sein, wenn neben der Dienstwaffe noch ein Taser als niedrigschwelligere Waffe zur Verfügung steht. Denn wenn jemand psychisch nicht in der Lage ist, die Folgen seines Handelns abzuwägen, wird die oft gerühmte abschreckende Wirkung des Tasers ins Leere laufen. Gerade Menschen gegenüber, die sich nicht selbst schützen können, ist ein Rechtsstaat aber zu besonderer Fürsorge verpflichtet.

Noch ein prominentes Beispiel sei genannt. Es zeigt, dass ein Taser-Einsatz keineswegs automatisch zur Deeskalation beiträgt. 2022 hantierte ein 16jähriger Flüchtling offenbar in Suizid-Absicht mit einem Messer. Er wurde zuerst mit Stromstößen aus einem Taser beschossen. Keine Sekunde später trafen ihn Kugeln aus einer Maschinenpistole tödlich. Die Polizisten müssen sich derzeit vor Gericht verantworten. Der junge Mann könnte noch leben, wenn man medizinische oder psychologische Experten zur Deeskalation eingesetzt hätte, statt das Arsenal der zur Verfügung stehenden Waffen in aufsteigender Reihenfolge auszuschöpfen.



In Nordrhein-Westfalen, wo die Forderung der DPolG bereits umgesetzt ist, haben Polizisten im vergangenen Jahr 1245-mal einen Taser gezogen. In jedem fünften Fall wurde auch geschossen. In Baden-Württemberg dagegen dürfen DEIG – wie auch in Niedersachsen – nur von Spezialkräften eingesetzt werden. Hier wurde kein einziges Mal ein Taser verwendet. Aus Niedersachsen teilt das Innenministerium dazu keine Vergleichszahl mit. Sind die Menschen so viel friedlicher im Südwesten als in Nordrhein-Westfalen? Der Verdacht liegt nahe, dass das nicht der einzige Grund ist. Wahrscheinlicher ist, dass die Spezialkräfte, die besonders für Situationen geschult sind, in denen Gefahr für Leib und Leben besteht, bessere Wege kennen, um Konflikte zu deeskalieren. Wenn es so ist, wären ein gezieltes Training der Streifenpolizisten für gefährliche Situationen und mehr psychologisches Wissen bessere Mittel, als das Waffenarsenal zu erweitern.