Mehr als zwei Wochen lang standen die Vorwürfe unkommentiert im Raum, nun hat die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers auf den Abschlussbericht der „Aufarbeitungskommission Oesede“ reagiert. Mit Spannung erwartet wurde insbesondere die Reaktion von Landesbischof Ralf Meister, dem zuletzt von Seiten der Betroffenen der Rücktritt nahegelegt worden war. Dieser Forderung hat Meister jedoch eine Absage erteilt.

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„Ich habe nach Abwägung und Gewissensprüfung entschieden, im Dienst zu bleiben“, erklärte der Landesbischof am Freitag vor Journalisten. Gefordert hatte die personelle Konsequenz an der Spitze der Kirche eine gewisse Lisa Meyer, die in den 1970er Jahren von einem Diakon sexuell missbraucht worden ist. Der Vorwurf an die Kirchenleitung war nun, nach Bekanntwerden des Falls in den 2010er Jahren die Öffentlichkeit nicht umfassend informiert und noch ein Jahrzehnt später die betreffende König-Christus-Kirchengemeinde in Oesede bei Osnabrück nicht ausreichend bei der Aufarbeitung unterstützt zu haben.

Meister begründete seinen Entschluss, nicht vom Amt des Bischofs zurücktreten zu wollen, auch mit seinen eigenen Impulsen zur Stärkung der Aufarbeitungsarbeit. Beispielhaft nannte er die erste Ansprechstelle für Betroffene sowie die Erarbeitung von Anerkennungsleistungen. Gefragt nach einem möglichen Verlust von Glaubwürdigkeit erklärte der Bischof, dass er neben anderem natürlich auch davor Angst hätte, aber auf die Vitalität seiner Landeskirche vertraue: „Wenn von Vertretern der Kirche Signale kommen, dass die Glaubwürdigkeit massiv durch meine Person gefährdet ist, würde das eine neue Situation ergeben.“

„Diese Entscheidung war keine dienstrechtliche Verfehlung, aber sie war unsensibel und falsch.“

Zuvor reflektierte der Landesbischof den Umgang der Institution Kirche mit der Thematik zum Zeitpunkt seines Amtsantritts 2011. „Ich kannte dieses Thema, wie sie alle auch“, sagte er und berichtete davon, wie er im ersten Jahr seiner Amtszeit mit der Leitungsebene des Kirchenamts in Hannover Gespräche über eine „tatsächliche Anerkennung des institutionellen Versagens der Landeskirche“ geführt habe. Man habe ihm damals aber zu verstehen gegeben, dass aus juristischen Gründen ein solcher Schritt ausgeschlossen sei, um Rechtsfolgen auszuschließen. Diesem Urteil damals gefolgt zu sein, bezeichnete Meister nun als einen Fehler, verwies aber auch auf die Rolle eines Bischofs in der evangelischen Kirche, der nicht einfach von oben bestimmen könne.

Grund für seine weitere Zurückhaltung in dieser Sache sei auch gewesen, dass ihm die Zahlung von Anerkennungsleistungen, die von der Landeskirche ab 2012 vorgenommen wurden, als ein öffentlicher Ausdruck des Institutionenversagens erschienen seien, „weil die Landeskirche selbst als Ganzes reagiert.“ Zudem sei damals entschieden worden, dass Kontakte mit Betroffenen nur noch über das zuständige juristische Dezernat laufen sollten. „Ich war damals davon überzeugt, dass dieser Weg klarer und hilfreicher für die Betroffenen sei“, sagte Meister und stellte nun aber fest: „Diese Entscheidung war keine dienstrechtliche Verfehlung, aber sie war unsensibel und falsch.“

Aus den Ergebnissen der Aufarbeitungskommission zieht die Landeskirche nun folgende Schlüsse:

  • Landeskirche stärkt Fachstelle: Künftig soll die „Fachstelle sexualisierte Gewalt“ zwei neue Mitarbeiter für die Bereiche Aufarbeitung und Prävention erhalten. Das wäre die zweite Aufstockung des Personals seit 2021. Die Leitung der Fachstelle soll zu einer vollen Stelle aufgewertet werden und und die Stelleninhaberin als Gast an allen Sitzungen des Kirchenamts-Kollegiums teilnehmen dürfen. Zudem wird die Rechtsberatung bald nicht mehr vom Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamts vorgenommen, sondern von einer unabhängigeren Stelle. Die Fachstelle soll ferne als Stabstelle an den Präsidenten des Kirchenamts angedockt werden. Eine Anbindung ans Landeskirchenamt hält man weiterhin für sinnvoll, damit ungehindert auf Strukturen und Akten zurückgegriffen werden kann.
  • Kirche richtet regionale Aufarbeitungskommission ein: Die Aufarbeitung müsse nach fachlich gesicherten Standards durchgeführt werden, sagte Kirchenamts-Vizepräsident Ralph Charbonnier. Kirche und Diakonie hätten sich dazu im Dezember verpflichtet. Dazu soll bis März 2025 eine „unabhängige regionale Aufarbeitungskommission“ für den Bereich der evangelischen Kirchen in Niedersachsen eingerichtet werden. Diese Kommission werde aus sieben Mitgliedern bestehen, die für ihre Arbeit eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten sollen. Mindestens zwei der Mitglieder müssen aus einer Betroffenenvertretung kommen. Zwei Spezialisten müssen mitwirken. Kirchliche Mitarbeiter dürfen nicht die Mehrheit stellen.


  • Superintendent lässt Verhalten überprüfen: Hans-Georg Meyer-ten Thoren, Superintendent im Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte, bittet Lisa Meyer um Entschuldigung dafür, ungefragt den Mailverkehr mit der Betroffenen weitergegeben zu haben. „Wir als Kirche dürfen nichts vor der Aufarbeitungskommission zurückhalten“, rechtfertigte er sein Verhalten, bekannte aber zugleich: „Wir müssen auch in diesen Situationen vorher aufklären, was wir machen. Doch dies habe ich versäumt.“ Wenn sein Vorgehen ein zu ahndendes Dienstvergehen sei, werde er dafür die Verantwortung übernehmen. Die Personalabteilung des Landeskirchenamts werde dies prüfen.
  • Künftig muss sofort eingegriffen werden: Aus dem zögerlichen Vorgehen nach Bekanntwerden der Fälle in Oesede schlussfolgert die Landeskirche, dass ab sofort unverzüglich interveniert und nach weiteren Betroffenen gesucht werden muss.
  • Meister sucht das Gespräch: Im Kalender des Landesbischofs sollen ab sofort mehr Zeitfenster für Gespräche mit Betroffenen sexualisierter Gewalt freigehalten werden. Auch mit Lisa Meyer wünscht Meister Kontakt. Dass es diesen nicht gegeben hat, bezeichnete er als „klares Versäumnis“.