Mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Niedersachsen werden in ihrem eigenen Zuhause versorgt, davon mehr als die Hälfte von ihren Angehörigen. Diese Gruppe stärker zu entlasten und bei ihrer Pflegearbeit zu unterstützen, ist eines der drei Kernanliegen der Neuauflage der sogenannten „Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen“ (Kap.Ni). Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) hat das Bündnis zur Verbesserung der Pflege, bestehend aus Wohlfahrtsverbänden, privaten Anbietern, Pflegekassen und Gewerkschaften, am Dienstag zu einem neuen Aufschlag zusammengerufen.

Wollen das Beste für die Pflege herausholen (v.l.): Vera Lux (Pflegerat), Andrea Wemheuer (Verdi), Hans-Joachim Lenke (Freie Wohlfahrtspflege), Sozialminister Andreas Philippi (SPD), Hanno Kummer (Pflegekassen), Thorsten Meilahn (private Pflegeanbieter). | Foto: Kleinwächter

Das Modell, das seine Vorvorgängerin Carola Reimann (SPD) 2019 initiiert hatte, blickt derweil auf wichtige Erfolge zurück: Damals hat man eine deutliche Steigerung der Vergütung im ambulanten Bereich umsetzen können, zudem wurden Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsschutz eingeführt, die verkürzte Pflegeassistenzausbildung wurde auf den Weg gebracht und eine Kampagne zur Imagewerbung für den Pflegeberuf eingeleitet. „Dieser Erfolg beflügelt“, erklärte am Dienstag Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, stellvertretend für die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.

„Stationen können nicht mehr besetzt werden, weil die Pflegekräfte fehlen. Das bringt die Einrichtungen schnell in eine wirtschaftliche Schieflage, was zu Insolvenzen führt.“

Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen

Gleichzeitig sind die Herausforderungen, denen sich die Neuauflage der Kap.Ni nun zu stellen hat, nicht kleiner geworden. Der Fachkräftemangel in der Pflege hält an, die Corona-Pandemie hat die Mitarbeiter weiter ausgelaugt; vielerorts droht nun eine Kettenreaktion, wie Lenke skizziert: „Stationen können nicht mehr besetzt werden, weil die Pflegekräfte fehlen. Das bringt die Einrichtungen schnell in eine wirtschaftliche Schieflage, was zu Insolvenzen führt. Für Pflegebedürftige, die sich in diese Einrichtungen begeben haben, ist das natürlich eine mittelschwere Katastrophe.“

Im ambulanten Bereich sei die Lage zwar besser kaschiert, aber im Grunde genau so kritisch. Die Kap.Ni-Partner haben daher einen Zehn-Punkte-Plan entwickelt, um erneut konkrete Verbesserungen für die Pflege zu bewirken. Gesundheitsminister Philippi betonte dabei, dass es ihm darum gehe, Schwerpunkte zu setzen, damit man sich nicht verzettelt. Die zehn Punkte lassen sich daher auf drei Themenblöcke aufteilen:

Pflegende Angehörige unterstützen

In Modellprojekten möchten die Kap.Ni-Partner ausprobieren, wie der Sozialraum, die Nachbarschaft und Ehrenamtlich in das Pflegesystem als sogenannte „Pflegenachbarn“ eingebunden werden können. Zudem soll im Landkreis Emsland, in der Grafschaft Bentheim und der Stadt Braunschweig ausprobiert werden, wie die Pflegekassen und der Medizinische Dienst eine Qualitätssicherung durchführen können, die sich tatsächlich an den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen orientiert. Vera Lux vom Pflegerat Niedersachsen ergänzt den Idee, dass pflegende Angehörige auch durch eine bessere fachliche Begleitung in die Lage versetzt werden könnten, sogar komplexe Versorgungssituationen zu bewerkstelligen – analog zur anfänglich intensiven Begleitung durch eine Hebamme während und nach der Schwangerschaft.

Fachkräfte gewinnen

Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden, weshalb die Landesregierung derzeit an einer eigenen Fachkräftestrategie arbeitet. Konkreter als diese ist unterdessen der Plan, mehr Pflegeassistenzkräfte zu gewinnen. Zumindest arbeiten das Kultus- und das Sozialminister gemeinsam mit Bundesagentur für Arbeit mit den Verbänden der Einrichtungsbetreibern und Pflegeschulen daran, wie ungelernte Hilfskräfte zur Pflegeassistenzkraft ausgebildet werden können. Zudem soll diese Ausbildung zusätzlich auch von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt angeboten werden. Als wichtiges Instrument zur Anwerbung von Fachkräften für soziale Berufe loben die Partner der Kap.Ni einhellig das Angebot des Freiwilligen Sozialen Jahres und kritisieren deshalb scharf geplante Kürzung im Bundeshaushalt.

Bürokratie abbauen

Insbesondere die Pflegekassen haben sich vorgenommen, bürokratische Doppelstrukturen ausfindig zu machen und unnötige Schritte einzusparen. Hanno Kummer vom Verband der Ersatzkassen erklärte, man habe zunächst drei solcher Bereiche ausfindig gemacht und wollte dort nun nach schlankeren Lösungen suchen. Dazu zähle etwa, dass die Qualitätskontrollen vom Medizinischen Dienst und den Heimaufsichten wenig aufeinander abgestimmt abliefen. Hier könne mit einer besseren Abstimmung viel Verwaltungsaufwand eingespart werden, sagte er.



Kritik aus der Opposition: Die Opposition betrachtet die Kap.Ni-Pläne skeptisch. Mehr als allgemeine Absichtsbekundungen habe man nicht vorlegen können, kritisiert Volker Meyer, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Warum das Kultusministerium noch prüfe, wie eine einjährige, vom ersten Tag an vergütete Pflegehelferausbildung umgesetzt werden könnte, während andere Länder wie etwa Hessen diese schon eingeführt haben, könne er nicht nachvollziehen. Auch bei der beschleunigten Anerkennung ausländischer Pflegekräfte könnte das Land längst in einer konzertierten Aktion von Innen- und Sozialressort weiter sein, meint Meyer.