Das hervorstechende Merkmal von Rolf Zick war seine Menschenfreundlichkeit. Auch im hohen Alter, in dem einige Senioren zynisch werden, sich innerlich zurückziehen oder niemanden mehr sehen wollen, zeichnete ihn eine große Neugier und fortwährende Höflichkeit aus – Neugier auf die politischen Abläufe und ihre Akteure. Rolf Zick hat es über viele Jahre seines langen Ruhestandes genossen, wenn man ihn als Zeitzeugen gefragt hat.

Und es waren ganz viele Epochen, zu denen er angehört wurde, oft sogar solche, in denen Jüngere mindestens ebenso gut hätten Auskunft geben können. Aber er liebte es, im Mittelpunkt zu stehen – und er war hier gefordert über viele Jahrzehnte.

Der am 16. April 1921 in Dransfeld (Kreis Göttingen) geborene Lehrersohn Rolf Zick ist am Morgen des 8. März friedlich eingeschlafen, teilte seine Tochter Anne am Wochenende mit. Er wurde 102 Jahre alt.

2020 erhielt Rolf Zick den Leibniz-Ring | Foto: LHH

Rolf Zick war der Ehrenvorsitzende der Landespressekonferenz, die er in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich geprägt hatte. Lange Zeit war er dort der Vorsitzende. Der Journalist leitete als Chefredakteur und Herausgeber die Korrespondenz „Nord-Report“, die zunächst zur Unterstützung der landespolitischen Berichterstattung in den Regionalzeitungen diente und später dann ein Medium neben mehreren mit dem Schwerpunkt Landespolitik und Wirtschaft wurde. Lange nach seinem Abschied aus dem aktiven Berufsleben fusionierte der „Nord-Report“ mit dem Rundblick, heute kann das Wirken von Rolf Zick damit als eine der Wurzeln des Politikjournals Rundblick beschrieben werden.

Man trat ihm nicht zu nahe, wenn man ihn als „einen Konservativen“ bezeichnete. Es war die Endphase der Regierungszeit von Ministerpräsident Ernst Albrecht, zwischen 1983 und 1990, in der die Szene des niedersächsischen Journalismus sich stärker als zuvor ausdifferenzierte. Auf der einen Seite standen die traditionellen Medien und ihre Vertreter, zu denen auch Zick gezählt wurde und die bei Kritikern im Ruf standen, „zu regierungsnah“ zu sein. Auf der anderen Seite formierten sich linke Journalisten, die sich selbst auch so einordneten. Zick und andere warfen ihnen vor, sie betrieben ihre Aufgabe als „Kampfjournalismus“ und würden ihre Chronistenpflicht politischen Zielen unterordnen. In jener Zeit war es für die Berichterstatter in den Zeitungen, im Fernsehen und im Rundfunk quasi unmöglich, sich einer Zuordnung dieser Gruppen zu entziehen.

Trotzdem ist es Rolf Zick damals und später gelungen, was nicht allen seinen Berufskollegen gegeben war – er verschaffte sich einen guten Ruf, der über Parteigrenzen hinwegging. Sicher war auch Zick in seiner Arbeit nicht objektiv, da Journalisten nie wirklich objektiv sein können, sobald sie Sachverhalte nicht nur darstellen, sondern diese auch bewerten und einordnen müssen. Aber zum einen gab es bei ihm das erkennbare stete Bemühen, auch andere Sichtweisen anzuhören und, wenn möglich, in seine Position einzubeziehen. Zum anderen zeichnete Zick eine besondere Art der Darstellung aus. Er wollte auf keinen Fall in den Geruch geraten, die von ihm so hochgehaltene „neutrale Rolle“ der Redakteurstätigkeit zu verlassen.

So lässt sich der Zick-Schreibstil als ein besonderer charakterisieren. An dieser Stelle hieß es dazu einmal: „Zick hat als Journalist stets der Wiedergabe von Fakten, Abläufen und Daten großen Raum gegeben, die Analysen verblassten hinter den Anekdoten. Er gefiel sich in der Rolle des Chronisten, der sich jeder Kommentierung enthalten will – um eben dadurch auch zu kommentieren.“ Die Widersprüchlichkeit seines Wesens wird hier klar: In der Auswahl dessen, was er schrieb, aus seiner Sicht streng faktenorientiert, war er natürlich auch wertend, hat er zwangsläufig auch seiner Darstellung eine Prägung gegeben. Nirgendwo ist das einflussreicher als in der Geschichtsschreibung, im Verfassen von Rückblicken auf abgeschlossene Abläufe.

Diese Rolle des Chronisten, des Landes-Historikers, hat Zick wie kein zweiter erfüllt. Er kann sogar als einer der Niedersachsen-Historiker schlechthin bezeichnet werden. Denn Zick, der nach der Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zunächst als Lokalreporter in Göttingen arbeitete und 1960 nach Hannover kam, hatte eine einzigartige Voraussetzung vorzuweisen. Er war der einzige niedersächsische Journalist, der sämtliche niedersächsische Ministerpräsidenten in seiner Berufsausübung persönlich erlebt hat und sie in ihrer Art auch gut beschreiben konnte. Über Jahrzehnte forderte das allen, die in Niedersachsen Politik gemacht oder begleitet hatten, höchsten Respekt ab.

Dann aber, ein knappes Jahr vor seinem 100. Geburtstag, fand ein Historiker im Bundesarchiv zwei Karteikarten, aus denen hervorgeht, dass Zick 1939 als 18-jähriger Soldat die Aufnahme in die NSDAP beantragt haben soll. Als er selbst davon erfuhr, reagierte er geschockt und erklärte, sich an diesen Vorgang nicht erinnern zu können. Kann das wirklich so sein? Zeit seines Lebens wurde das nicht mehr geklärt. Hat er es gewusst, aber nicht zugegeben? Hat er tatsächlich den Parteibeitritt damals gar nicht bewusst wahrgenommen, da dieser formale Akt von einer Stimmung der Begeisterung und Gefolgschaftserwartung überwölbt wurde? Oder ist ihm im Laufe der Zeit eine perfekte Selbsttäuschung gelungen, sodass er nach Jahrzehnten durchaus glaubwürdig behaupten konnte, sich nicht erinnern zu können – da er die Erinnerung erfolgreich aus seinem Gedächtnis getilgt hat? Rolf Zick wäre nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist.

Was folgt daraus? Rolf Zick hat bis vor wenigen Jahren viele historische Bücher geschrieben, sich in vielen Interviews zu geschichtlichen Vorgängen geäußert. Als Chronist des Landes war er immer die erste Adresse. Aber wenn es stimmt, dass Menschen in ihrer Erinnerung vieles Erlebte miteinander verknüpfen, dabei manches ausblenden und manche Vorgänge so konstruieren, wie sie im tatsächlichen Geschehen dann doch nicht gewesen sind, dann ist höchste Vorsicht geboten: Zeitzeugenberichte sind wichtig, sie sind sogar besonders wichtig.

Kein Aktenvorgang kann so umfassend die Vergangenheit beschreiben wie das, was die damaligen Teilnehmer selbst erlebt haben. Manchmal aber sind die Akten doch näher an der Wahrheit als die Erinnerung der Menschen. Die Bücher von Zeitzeugen wie Zick, der ein hervorragender Vertreter dieser Zunft für Niedersachsen war und über seinen Tod hinaus bleibt, haben einen großen Wert für die Geschichtsforschung – in den nächsten Jahrzehnten vermutlich noch stärker als heute. Aber sie sind eben nur ein Teil der Wahrheit und können nie die völlige Wahrheit sein. Das bleibt als Nachruf auf einen großen niedersächsischen Journalisten.