Dieses Jahr wirkt zum Jahresende wohl auch deshalb so unangenehm, weil man Anfang 2022 so ganz andere Erwartungen hatte. Anfang 2022 lagen zwei äußerst anstrengende Jahre Corona-Pandemie hinter uns, und wir hatten alle gehofft, nun würde die Normalität wieder beginnen. Normalität im Sinne von: geordnet, offen, unbeschwert und hoffnungsfroh. Nicht wenige hatten damals, Ende 2021, die Vision von einer riesigen ausgelassenen Feier, einer Mega-Party. Putins Angriffskrieg, gestartet am 24. Februar, hat auch die verbreitete politische Theorie vom „Wandel durch Annäherung“ zerstört. Für eine Party gab es keinen Grund mehr.

Foto: Scheffen; Kleinwächter

Der Krieg der Russen hat auch landespolitische Nachwirkungen. Wir haben im Rundblick früh darüber geschrieben, dass auch Ministerpräsident Stephan Weil zu den Politikern von SPD und CDU zählte, die immer wieder um Verständnis für Russland geworben hatten, auch noch nach der Annexion der Krim 2014. Und wir hatten über Gerhard Schröder geschrieben, den Altkanzler, der sich wie gewohnt uneinsichtig zeigte und in der öffentlichen Meinung Niedersachsens immer noch verteidigt wurde. Das muss man sich vorstellen: Ein Spitzenpolitiker, ehemaliger deutscher Regierungschef sogar, der einen brutalen Kriegsverbrecher verteidigt, verniedlicht – und dann noch dafür Verständnis in Hannover erntet. Mehr dazu

Der Fall dieses Altkanzlers zieht sich hin, bis jetzt, in den Dezember. Die Landtagswahl ist davon trotzdem ungerührt geblieben. Sie fand unter den besonderen Bedingungen der Krise statt – wobei die Auswirkungen des Krieges (auf die Preisstabilität, die Versorgungssicherheit und die Lieferketten) prägend waren, nicht etwa die Suche nach den Ursachen für die bedenkliche Abhängigkeit zu Russland, in der sich Deutschland befindet. Hier die Analyse zur Landtagswahl.

Dieses Wahljahr 2022 war auch deshalb ein ganz besonders prägendes, weil der Wahlkampf unter extrem schwierigen bundes- und weltpolitischen Umständen stattfand. Das war allerdings schon bei vielen früheren Landtagswahlen ähnlich so. Mehr dazu



Die Älteren werden sich noch an einen ganz besonderen Wahlkampf erinnern, der sehr viel bewegender und tiefschürfender war als die meisten später (und auch vorher). Es war der Wahlkampf vor der Bundestagswahl 1972, also vor genau 50 Jahren. Vor allem die SPD feierte ihn noch Jahrzehnte später, denn die Auseinandersetzung endete mit einem Sieg von Willy Brandt. Die Wahlbeteiligung lag damals bei mehr als 90 Prozent, die ganze Republik war politisiert – und das war in vielerlei Hinsicht eine Situation, die heute als erstrebenswert gelten muss, denn die Anteilnahme am politischen Geschehen war sehr groß. Nur: Der Nachteil einer extremen Polarisierung, nämlich das Umschlagen von Gegnerschaft in Feindschaft, war seinerzeit auch zu beobachten. Mehr dazu

Was 1972 den besonderen Reiz für viele politisch Interessierte ausmachte, war das Gefühl von Aufbruch, von Reformen und Erneuerung. Wohlgemerkt: das Gefühl, nicht schon der Beleg dafür, dass wirklich so viel anders gemacht worden wäre als vorher. Heute sind auch Reformen angesagt, auch in Niedersachsen. Das wurde auch in unsere Wahlkampfberichterstattung eingespeist:

Idee zum Koalitionsvertrag (4): Schafft die Direktwahl für die Rathäuser wieder ab!

Zum Landtagsgeburtstag: Fünf Vorschläge für eine Parlamentsreform

Ob diese Themen für den Ausgang der Landtagswahl relevant gewesen wären? Vermutlich weniger. Was mit dieser Wahl schon in Gang geschoben wurde, ist eine Neuaufstellung der politischen Akteure. Bei der SPD scheint sich im Herbst 2022 zu stabilisieren, dass Olaf Lies die klare Nummer zwei der SPD ist und Nummer eins werden könnte, falls Stephan Weil sich irgendwann zurückzieht. Zumindest jetzt ist das so. Bei der CDU ist der Generationswechsel schon klar definiert, und es gibt mit Sebastian Lechner eine neue Nummer eins. Mehr dazu