Was für ein Jahr: Wie wir lernten, den Stromzähler zu fürchten
2022 war ein Jahr der Überraschungen. Erst schockierte die Russische Föderation die westliche Welt mit ihrem völkerrechtswidrigen Großangriff auf die Ukraine. Dann wurde Kriegstreiber Wladimir Putin von der Reaktion des Westens kalt erwischt. Schließlich hatte er wie schon nach der Krim-Annexion 2014 auf die Untätigkeit der Europäer gesetzt, die sich tief in die Abhängigkeit von russischem Gas verstrickt hatten. Doch die Sanktionen gegen den Aggressor folgten prompt. Der EU-Abgeordnete und Handelsexperte Bernd Lange (SPD) zählte dabei zu den „Hardlinern“ der ersten Stunde. Im Rundblick-Interview prophezeite Lange bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch: „Zweifelsohne wird die russische Aggression die Veränderung der globalen Energiehandelsstrukturen beschleunigen. Grüner Wasserstoff wird Öl und Gas ablösen. Auch die Tendenz, einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren, wird sich verstärken.“ Lange sollte Recht behalten.
Die ersten Preissteigerungen ließen nicht lange auf sich warten, schließlich gerieten im Wirtschaftskrieg auch die niedersächsischen Unternehmen zwischen die Fronten. Die Diskussion um die Energiesicherheit wurde zunächst noch relativ entspannt geführt. Als Anfang März die beiden Grünen-Bundesminister Robert Habeck und Steffi Lemke eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ausschlossen, gab es kaum Reaktionen. Erst später im niedersächsischen Landtagswahlkampf kochte das Thema so richtig hoch. Geradezu unschuldig wurde zunächst auch über die Energiepreissteigerungen diskutiert. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften forderten zwar schon kurz nach Kriegsausbruch einen Strompreisdeckel. Von den Preisen pro Kilowattstunde, um die es damals ging, können wir inzwischen nur noch träumen.
In den folgenden Monaten wurde das Schlagwort „Energiekrise“ dann auch bei uns im Rundblick mit steigender Häufigkeit verwendet. Und die finanziellen Sorgen der Unternehmen, Kommunen und Privatleute traten immer deutlicher zutage. „Mit Blick auf die kommenden zwölf Monate ist ein Großteil der Niedersachsen äußerst besorgt – um ihre Sicherheit, ihre Versorgung und nicht zuletzt auch um ihren Wohlstand. Hier ist die Politik dringend gefordert für Stabilität zu sorgen“, fasste Volker Schmidt, Geschäftsführer der Drei-Quellen-Mediengruppe, im Mai die Ergebnisse einer Allensbach-Studie zur Stimmungslage in Niedersachsen zusammen. So richtig aktiv im Sinne der Bürger wurde die Politik allerdings nicht. Mit dem ersten Entlastungspaket war eigentlich niemand so richtig zufrieden. Zu allem Überfluss hatte Bundeswirtschaftsminister Habeck zwischenzeitlich auch noch die Schnapsidee, die Gaskunden zusätzlich mit einer „Gasumlage“ zu belasten. Da brannte aber die Hütte. Nach Kritik von allen Seiten besann sich der Grünen-Politiker schließlich eines Besseren.
Im September ging der mittelständischen Wirtschaft dann aufgrund des Energiepreisschocks allmählich die Luft aus. „Durch die Energiekosten haben wir null Spielraum. Viele mittelständische Unternehmen haben ihre Gewinne aufgebraucht, einige sind sogar in der Verlustzone“, schilderte der Hildesheimer Unternehmer Jürgen Schlote im Gespräch mit dem Rundblick die Lage. Ob diese Notsituation am Ende tatsächlich bereinigt wurde, bleibt offen. Zwar legten sowohl der Bund als auch das Land Niedersachsen umfangreiche Hilfspakete auf. Doch die Zufriedenheit damit hielt sich in Grenzen. „Die Hürden sind brutal“, kommentierten die Unternehmerverbände das Energiepreisbremsengesetz. Kritik am niedersächsischen Förderprogramm ließ auch nicht lange auf sich warten. Die CDU rügte das Programm im Haushaltsausschuss.
Neben den Unternehmern gerieten auch die Busunternehmer und Verkehr immer mehr in die Bredouille. Im Oktober machte der Regionalverband Großraum Braunschweig dann einen Kassensturz und kam zu dem Ergebnis: Niedersachsens ÖPNV benötigt 300 Millionen Euro zusätzlich – nur für das Basisangebot. Und die Dauer-Debatte um einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket machte die Stimmung im Land nicht besser. Vielmehr zeigte der monatelange Streit sehr deutlich, dass Deutschland die Verkehrswende längst nicht so schnell wuppen können wird wie die Energiewende. Abgesehen vom Aufbau eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven, das auf der Liste der am meisten kommunizierten Themen 2022 ganz weit oben stehen dürfte, ist aber leider noch nicht viel Vorzeigbares passiert. Über die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen wurde zwar viel geredet, aber von der Politik bisher wenig geliefert. Dabei drängt mittlerweile selbst die Chemie-Industrie in einer Allianz mit dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) zum schnellen Ausbau der Windenergie. Der Neue im Energieministerium, Christian Meyer (Grüne), hat sich zumindest auf Twitter schon mal zum „Turbo-Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Niedersachsen“ erklärt. Wir können 2023 also gespannt sein, ob eine Beschleunigung gelingt und damit auch endlich das Zukunftsthema Wasserstoff an Fahrt aufnimmt.
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